Besser, breiter, jünger: Im Haus der Wirtschaft findet noch bis Sonntag die neu konzipierte Stuttgarter Künstlermesse statt. Ihr frischer Ansatz überzeugt das Publikum.

Stuttgart - Das Bier ist billiger als auf der Art Basel, die Bilder auch. Die Stuttgarter Künstlermesse im Haus der Wirtschaft versteht sich als niederschwelliges Angebot an alle. An die Besucher, die manchmal schon für bescheidene zweistellige Summen Werke erwerben können, aber auch an die Künstler, die anders als in Galerien allein entscheiden, was sie zeigen und zu welchem Preis sie es hergeben.

 

Die einzige Hürde ist die Jury, die überzeugt werden muss. Befand der ausrichtende Verband Bildender Künstler und Künstlerinnen Baden-Württemberg (BBK) sonst allein über die Teilnahme, traf in diesem Jahr ein externes, unter anderem mit Galeristen und Kuratoren besetztes Gremium die Entscheidung, wer einen der begehrten 75 Stände erhielt. „Durch die Außenperspektive“, sagt Ursula Thiele-Zoll vom BBK, „haben wir uns ein besseres und breiteres Angebot erhofft.“

Dieses Kalkül scheint aufgegangen zu sein. „Was ich so sehe, ist anspruchsvoller als früher“, findet der Karlsruher Bildhauer OMI Riesterer, der schon mehrere Male mit dabei war. Kunsthandwerk oder belanglos Dekorativem begegnet man in diesem Jahr in der Tat seltener. Besonders die Skulptur hat an Präsenz gewonnen und steht nun gleichberechtigt neben der Malerei. Während bei Birgit Feil leichtgewichtige Acrylplastiken durch die Lüfte turnen, hat Josef Nadj eindrucksvolle Kurven und Sicheln aus dunklem Stein aufgefahren.

Erstmals stand die Messe auch Bewerbern aus anderen Bundesländern offen. Allzu viele haben aber nicht nach Stuttgart gefunden. Das Angebot, vermutet Thiele-Zoll, brauche mehr Zeit, um sich bis in den Norden rumzusprechen. „Einige“, glaubt sie, „scheuen auch die weitere Anfahrt und zusätzliche Übernachtungskosten.“ Zu denen, die trotzdem gekommen sind, gehört Lydia Oermann aus Köln. Die Bildhauerin hat illuminierte Plexiglaswürfel (ab 500 Euro) mitgebracht. Sie schätzt besonders die entspannte Atmosphäre der Messe. Die sei von „Endverbrauchern“ bestimmt, also Käufern, die zuschlagen, weil ihnen einen Werk gefällt, nicht weil sie Geld investieren wollen.

Raum für noch nicht Entdecktes

Ansonsten entdeckt man beim Stop-and-go-Verkehr zwischen den Bildern überwiegend einheimische Vertreter: die Stuttgarter Malerin Andrea Eitel mit ihren kühlen Großstadtarchitekturen (2500 Euro), blaustichig verfremdete Stillleben des Tübingers Marek Zawadzki oder konstruktive Grafiken von Patrizia Kränzlein (ab 70 Euro). Die Bietigheimerin wird sonst von einer Schweizer Galerie vertreten. „Käme mein Galerist aus der Nähe“, sagt sie, „hätte ich wahrscheinlich nicht teilgenommen.“ Offenbar denkt die Mehrzahl ihrer Kollegen ähnlich. Künstler der Region, die auf dem Stuttgarter Kunstmarkt in festen Händen sind, sieht man kaum. Dafür stoßen selbst eingefleischte Kenner der hiesigen Ausstellungsszene immer wieder auf bislang unbekannte Positionen aus dem Südwesten.

Die Auswahl überzeugt nicht zuletzt deshalb, weil trotz des Verkaufscharakters auch gewagte konzeptuelle Ansätze vertreten sind: Jan-Hendrik Pelz und Johanna Mangold etwa thematisieren den Konkurrenzdruck auf dem Kunstmarkt. In dem Videotriptychon geht es um die Herstellung eines Zaubertranks. Wer davon trinkt, wird zum besten Künstler seiner Zeit, versprechen die Macher. Das KreativenDoping enthält Misteln, ein Antidepressivum und die Haare von Jonathan Meese. 8000 Euro kostet die Arbeit, womit sie zu den teureren Werken der Schau zählt. Dass sie verkauft wird, halten die Künstler allerdings eher für unwahrscheinlich. „Dennoch“, sagt Pelz, „finden wir es wichtig, im Rahmen einer Messe auch Systemkritik zu präsentieren.“

Haarzöpfe, von Schimmel überzogen

Denn die ökonomische Position vieler Künstler bleibt prekär. Obwohl die Standgebühr mit Preisen ab 300 Euro moderat ist, müssen viele sich eine Koje teilen. Um Jüngeren ein Sprungbrett zu bieten, wurden vier Plätze unentgeltlich an Akademiestudenten vergeben. Eine Gratiskoje bekam die Stuttgarterin Anna Gohmert. Ihre morbiden, scheinbar von Salzkristallen oder Schimmel überzogenen Haarzöpfe gehören zu den ungewöhnlichsten Beiträgen.

Ein erfrischendes Konzept, interessante Künstler, zufriedene Besucher – man gönnt dem BBK gern den Erfolg, läutete zuletzt doch schon das Totenglöckchen für die alle zwei Jahre stattfindende Messe. Zunächst musste sie den angestammten Veranstaltungsort, das Kunstgebäude am Schlossplatz, gegen das Haus der Wirtschaft eintauschen, dann strich auch noch das Land seine Unterstützung von 12 500 Euro. „Dass wir noch da sind“, sagt Thiele-Zoll, „verdanken wir Sponsoren wie der Toto-Lotto GmbH.“

Doch der Überlebenskampf geht weiter. Ob es 2021 eine Messe geben wird, stehe in den Sternen. Thiele-Zoll: „Nur weil durch den Umzug des Landtags ins Kunstgebäude ein ‚besonderer Sachgrund‘ vorlag, wie es im Bürokratendeutsch heißt, konnten wir damals hierhin ausweichen.“ Dieser Sachgrund, so die Messe-Organisatorin, sei mittlerweile weggefallen, weshalb die aktuelle Ausgabe der Verkaufsschau die letzte im Haus der Wirtschaft sein könnte. Und eine Rückkehr an den Schlossplatz ist derzeit auch nicht sehr wahrscheinlich.