Eigentlich müsste die Volkshochschule politisch neutral sein. Ist sie auch, sagt die Chefin Dagmar Mikasch-Köthner. Beim Thema Rechtsextremismus nehme sie jedoch eine klare Position ein. Und ist damit in guter Gesellschaft.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Das Stuttgarter Bündnis für Menschenrechte wird immer größer. „Nach der Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten in der vergangenen Woche hatten wir bei unserem nächsten Treffen 20 neue Anmeldungen“, sagt Michael Kienzle. Der geschäftsführende Vorstand der Stiftung Geißstraße ist einer der Initiatoren der Aktion „Vielfalt: 0711 für Menschenrechte“, die im Vorfeld des 70. Jahrestags der Verabschiedung der UN-Menschenrechtscharta am 10. Dezember „diese eiserne Ration an geistiger Nahrung für die Menschheit“ (Kienzle) auf die Speisekarte der Demokratie bringen will. Gerade im Hinblick auf die Ereignisse in Chemnitz „freuen wir uns über dieses riesengroße Interesse“, erklärt Kienzle.

 

Jüngster Neuzugang auf der Liste der mehr als 160 teilnehmenden Institutionen sei der Paritätische Wohlfahrtsverband, sagt er. Auch Oberbürgermeister Fritz Kuhn habe angefragt, was die Stadt über ihr bisheriges Engagement mit mehreren Veranstaltungen im Rathaus hinaus tun könne. „Dass er Interesse bekundet, sich auch persönlich noch stärker einzubringen, ist ein ganz wichtiges Zeichen“, sagt Kienzle, der zwar wie Kuhn den Grünen angehört, aber großen Wert darauf legt, „dass die Aktion kein parteipolitisches Gschmäckle bekommt“. Tatsächlich haben neben den Grünen auch die SPD, FDP, Linke und SÖS ihre Unterstützung zugesagt. Die CDU und die Freien Wähler prüfen noch, die AfD sowie die aus der AfD hervorgegangene Splittergruppierung BZS23 lehnen eine Teilnahme an der Menschenrechtsbewegung ab.

Das Jahresmotto lautet „Internationale Stadt Stuttgart“

Mit großer Sympathie begleitet dagegen die Volkshochschule (VHS) das Projekt. „Wir werden im Herbst unser Jahresmotto ,Internationale Stadt Stuttgart‘ weiterentwickeln“, sagt Dagmar Mikasch-Köthner. Zum Jubiläum der Menschenrechtscharta habe man eine eigene Filmreihe mit dem Titel „Mit den Augen der anderen“ aufgelegt, berichtet die VHS-Chefin. Darüber hinaus werde es erstmals ein breit angelegtes englischsprachiges Programm geben, das von Gesundheitsbildung bis zu Kochkursen reiche. Speziell für Migranten, aber auch für ratsuchende Deutsche sei eine neue Beratungsstelle gedacht, die trägerübergreifend für alle nur denkbaren Themen von beruflicher oder allgemeiner Weiterbildung ansprechbar sei. Damit werde eine zentrale Anlaufstelle geschaffen, die im Treffpunkt Rotebühlplatz angesiedelt ist und am nächsten Montag, 10. September, zum Beginn einer sogenannten „Intensivwoche Beratung“ ihre Arbeit aufnimmt.

„Mit all diesen Angeboten zeigen wir, dass die Volkshochschule mitten in der Gesellschaft steht“, sagt Dagmar Mikasch-Köthner. Mit einem Migrantenanteil von etwa 40 Prozent seien die VHS-Dozenten ein Abbild der Stadt. Deswegen sei es ihr auch ein tiefes Bedürfnis „eine klare Position gegen Rechtsextremismus einzunehmen“. Nach wie vor hält Mikasch-Köthner den Merkel-Satz „Wir schaffen das“ für elementar: „Die Spaltung zu überwinden und die Offenheit einer Aufnahmegesellschaft zu bewahren, ist eine eminent wichtige Aufgabe, der wir uns stellen.“

Der Ton der Diskussionen ist aggressiver geworden

Dabei weiß Stuttgarts oberste Volkshochschullehrerin um die Zwiespältigkeit ihrer Aussage. Die im Mai 1918 von dem Unternehmer Robert Bosch, dem Pädagogen Theodor Bäuerle und Oberbürgermeister Karl Lautenschlager gegründete Institution müsse dem Grundsatz nach neutral sein. Wer dagegen eine klare Haltung habe und diese auch zeige, grenze gegebenenfalls jene aus, die anderer Meinung sind. „Die Kollegen in Leipzig und Dresden spüren diesen Zwiespalt noch stärker“, sagt Mikasch-Köthner, „die Volkshochschule wird zur Seite der etablierten Institutionen gerechnet. Dort kamen schon Pegida-Anhänger mit der Intention ins Haus, einzelne Veranstaltung zu übernehmen.“ Auch in Stuttgart sei der Ton der Diskussionen aggressiver geworden – aber kein Vergleich zu dem, was sich in Teilen Sachsens abspielt. Und letztlich könne sie sich, wenn sie die eigene Haltung zum Rechtsextremismus reflektiert, auch auf die Tradition berufen: „Die Volkshochschule wurde gegründet, um einer jungen Demokratie das notwendige Rüstzeug zu geben.“