In unserer Serie „Menschen mit grünem Daumen“
porträtieren wir in loser Folge ebensolche Personen. Wie zum Beispiel Wolfgang Wagner. Nahe der B10 in Zuffenhausen bewirtschaftet der Hobbywinzer einen Weinberg – aus Lust am Trollinger und Freude an der Kulturlandschaft.

Stuttgart - Als Wolfgang Wagner 63 Jahre alt war, hat er den Anzug gegen ein kariertes Hemd und Wanderschuhe eingetauscht. Zügig steigt der heute 67-jährige ehemalige leitende Angestellte eines Automobilzulieferers den steilen Berg zwischen langen hellgrünen Rebenreihen hinauf. Die Gegend hier oben weist ein Schild als Landschaftsschutzgebiet aus. Dort unten, nur etwa 500 Meter Luftlinie entfernt, fließt der Verkehr der B10. Manchmal quietschen die Bremsen der Stadtbahn, wenn sie an der Haltestelle Friedrichswahl anhält. „Der Lärm nervt schon ein bisschen“, sagt Wagner. Und zuckt mit den Schultern.

 

13 Tennisfelder Reben am Steilhang

Den Traum von einem eigenen Weinberg hatte Wagner schon lange. „Ich trinke gerne Wein und finde das toll: den eigenen Trollinger ins Glas gießen zu können“, sagt Wagner und strahlt. Beruflich ist der promovierte Ingenieur viel herumgekommen. Nun hat sich der in Rot Aufgewachsene, der heute in Korntal lebt, auf seine Wurzeln besonnen: „Ich bin von klein auf mit Zuffenhausen verbunden, denn mein Großvater kommt von hier.“ Mit dem Weinbau angefangen hat Wagner, als ihm vor sieben Jahren ein Stück hier am Hang zum Kauf angeboten wurde: Der Besitzer konnte altershalber nicht mehr. „Er hat sich riesig gefreut, dass jemand weitermachen wollte.“ Außer Wagner bewirtschaften noch drei andere ältere Herren ihre Stückle am Hang, im Nebenerwerb, wie die meisten der rund 500 Winzer im Stuttgarter Stadtgebiet. Hobbywinzer Wagner besitzt mittlerweile etwa 2500 Rebstöcke auf einer Fläche von insgesamt 33 Ar. Das sind so viel wie 13 Tennisfelder – nur eben a m Steilhang, mit einer Neigung von mehr als 30 Prozent . Mit großen Maschinen kommt man hier nicht weit – mit Handarbeit schon.

Ruhe am ersten Weihnachtstag

Der Jahreslauf strukturiert die Arbeit im Weinberg. Besonders schön laut Wagner: die Ruhe im Winter. „Am ersten Weihnachtstag sitzen die anderen mit den Verwandten zusammen – und ich komme hierher und schneide meine Reben“, sagt der Hobbywinzer schmunzelnd. Im April setzt er neue Pflanzen. Etwa 60 Jahre alt kann ein Weinstock werden: „Manche hier sind sogar noch aus den sechziger Jahren.“ Wenn einer keinen Ertrag mehr bringt, pflanzt Wagner neuen Trollinger, probiert aber auch andere Sorten. Erst letztes Jahr hat er 250 Stöcke „Prior“ gepflanzt, die er bei großer Hitze einzeln von Hand bewässert. Ihr Vorteil: Sie sind resistent gegen Pilzkrankheiten wie den echten und den falschen Mehltau. Später im Frühjahr, wenn die Triebe lang wachsen, fädelt Wagner sie zwischen die Drähte ein, die er von einer langen verzinkten Stange zur anderen gezogen hat. Der Platz zwischen den Reihen muss frei bleiben, damit er gut hindurch kommt: Je nach Witterung spritzt Wagner etwa alle 14 Tage gegen Pilzkrankheiten. „Sonst bricht der Ertrag ein.“ Für alternative biologische Methoden zum Pflanzenschutz, bei denen im Abstand von wenigen Tagen gespritzt werden muss, wäre Wagner zwar offen. „Aber alleine kann ich das auf dieser Fläche nicht schaffen.“ Im August darf der Wein wachsen, im September oder Anfang Oktober fährt der Weinbauer die Ernte ein – maximal 150 Kilogramm Trauben pro Ar dürfen es laut Vorschrift in der Steillage sein: „Um die Qualität zu sichern.“

Von Blanc de Noir bis Trollinger

Wie drei Viertel aller Stuttgarter Wengerter baut Wagner Rotwein an, Trollinger zumeist. Frisch abgepresst geben die einen leichten Blanc de Noir. Für den Rosé erntet der Hobbywinzer die Trauben etwas später. Und ganz spät gibt es den klassischen schwäbischen Trollinger. Zur Lese kommen Freunde und Familie zusammen: „30 Mann hoch, ein tolles Event“. Auch seine Frau, die Tochter und der Sohn mit Familien sind dann dabei. Wagner baut ein Zelt auf, die Feuerschale kommt zum Einsatz, und nach getaner Arbeit sitzen alle bis in den Abend hinein zusammen. Rund 2000 Flaschen Wein hat Wagner am Ende einer durchschnittlichen Saison, ausgebaut vom Weingut Faschian in Hessigheim, „zum Selber-Trinken und Verschenken“. Finanziell, so sagt er, lohne sich die Arbeit im Weinberg nicht.

Kulturlandschaft mit Mauereidechsen

Trockenmauern geben dem steilen Hang Struktur, aufeinander geschichtete große und kleine Quader aus Sandstein. Hier und da bröckelt es. Bei starken Niederschlägen drückt das Wasser von oben, und hin und wieder fällt auch mal eine Mauer ein. „Dann muss ich sie eben wieder richten.“ Wagner mag die Mauereidechsen, die in den Ritzen zwischen den Steinen ihre Heimat haben. „Sie haben sogar die Zauneidechsen verdrängt“, weiß er, seit das Tiefbauamt vor kurzem eine ökologische Kartierung durchführen ließ. Eine Fuchsfamilie hatte sich einmal hinter einem seiner drei Weinberghäuschen eingerichtet. Und viele Mäuse gibt es sowieso.

Schild wirbt für Mitarbeit

„Biete Weinberganteil für Hobbywinzer“. Dieses Schild am Tor von Wolfgang Wagners Weinberg fiel Thomas Bleile gleich ins Auge. „Meine Frau und ich haben bei unseren Spaziergängen schon immer ein bisschen schwärmerisch auf die Reben geschaut und gedacht: Hier zu arbeiten, das möchten wir gerne einmal ausprobieren.“ Kurzentschlossen griff Bleile zum Telefonhörer – und kümmert sich nun seit Anfang des Jahres mit seiner Frau unter Wolfgang Wagners Anleitung um fünf Reihen Weinstöcke. Wenn es etwas zu tun gibt, schickt der Wengerter eine Nachricht per Whatsapp. Die Bleiles, die unweit des Weinbergs wohnen, treffen sich mit Wagner. Er zeigt ihnen, wie es geht, und sie erledigen die Arbeit. Der Aufwand sei für die beiden Berufstätigen mit ihren vier Kindern überschaubar. Die Tätigkeit macht ihnen Spaß: „Wir finden es meditativ und entspannend.“ Aufs Anstoßen mit dem eigenen Wein freuen sich die Bleiles jetzt schon.

Der Steillagenweinbau lohnt sich doch

Joachim Kölz ist seit Anfang des Jahres Vorstandsvorsitzender der Felsengartenkellerei aus Besigheim und damit gleichzeitig Geschäftsführer von Weinfactum, der ehemaligen Cannstatter Weingärtnergenossenschaft, zu der auch einige Zuffenhäuser Weinbauern gehören. Die rund 800 aktiven unter den insgesamt 1400 Genossenschafts-Mitgliedern betreiben auf 750 Hektar Weinbau, zumeist in steilen Lagen, die meisten im Nebenerwerb. Kölz, früher Bürgermeister von Bietigheim-Bissingen, kennt die Herausforderungen: die zeit- und damit kostenintensive Arbeit, die immer komplexeren Anforderungen des Lebensmitteleinzelhandels, die große Konkurrenz auf dem Markt, die niedrigen Preise im Verkauf, die der Verbraucher erwartet. Dennoch oder gerade deswegen brennt Kölz, der gern ein Glas trockenen Riesling oder trockenen Spätburgunder trinkt, für den Steillagenweinbau: Es ist für ihn eines der großen Themen in Stuttgart und am Neckar. Ob Kooperationen wie die der Besigheimer und Cannstatter Genossenschaften, Unterstützung durch die Politik mithilfe von Förderprogrammen und finanziellen Anreizen oder auch unkonventionelle und pragmatische Ansätze wie der von Wolfgang Wagner – Kölz ist überzeugt: „Der Steillagenweinbau ist landschaftsprägend und identitätsstiftend. Es lohnt sich, sich für ihn einzusetzen.“

Wer Mitarbeiter im Weinberg möchten werde, melde sich gerne bei wwagner.korntal@arcor.de oder unter Telefon 07 11 / 83 78 62.