Im Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung für Usbekinnen geht Nadira Khalikova einen besonderen Weg: Die Stuttgarterin gründete ein Modelabel.

Stuttgart - Kluge Frauen haben in Usbekistan nichts zu lachen. Und sie haben Millionen Feinde. Nämlich Millionen (dummer) Männer, die solche Frauen fürchten. Frauen, die sich nicht in Geschlechterrollen pressen lassen, die gegen häusliche Gewalt aufbegehren. Frauen wie Nadira Khalikova. „Ich bin eine Feministin – geworden“, sagt die 28-Jährige stolz, „nachdem ich das Glück hatte, eine Gesellschaft mit Zwangsheirat, Küche und Schwiegermutter mit einer von Freiheit, Bildung und Gleichheit geprägten zu tauschen“. Wenngleich ihr Elternhaus für usbekische Verhältnisse liberal sei, sagt sie: „Ich wurde auch mit dieser Mentalität erzogen. Es war normal und in Ordnung, auf viele Sachen zu verzichten, nur weil ich ein Mädchen war.“

 

Seit dem Tausch zwischen Autokratie und Demokratie vor sechs Jahren ist einiges passiert. Seitdem hat sie ihrem Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft den Master in internationalen Beziehungen draufgesetzt, arbeitet für die Stadt Tübingen im Integrationsmanagement und lebt im Stuttgarter Süden. Aber kämpfen, das macht sie weiter in ihrem Geburtsland Usbekistan. Für und mit den unterdrückten Frauen in Bukhara, „die gegen Fremdgehen des Ehemannes, für ihre Freiheit oder um den Mut für eine Scheidung kämpfen“.

Schreiben alleine war zu wenig

Anfangs versuchte es Nadira Khalikova noch mit Worten – in einem Blog: „Das Schreiben war der einzige Weg. Einfach der Welt berichten, was auf der anderen Seite der Welt los ist. Einfach erzählen, wie Frauen in einem Land, dessen Name fast niemand kennt, leben.“ Dann kam die Einsicht: „Schreiben alleine hilft nicht, die Frauen leiden weiter.“ Daher geht sie seit Februar 2020 andere Wege. Nun, da sie so lange über viele Schicksale von unterdrückten Frauen in Usbekistan berichtet hat. Auch über das ihrer Freundin Marjona, bei der zwischen einem ersten Kennenlernen ihres Mannes und der (Zwangs-)Hochzeit gerade mal zwei Wochen lagen. „Ich kenne diese Frauen. Ihre Stimmen, ihr Lachen und ihr Weinen. Ich trage es in mir“, sagt sie. Auch das von Guli, einer begabten Schneiderin. Im Gespräch mit ihr hat Nadira Khalikova eine neue Idee geboren. Als Guli wieder einmal meinte, „so ist das Schicksal der usbekischen Frauen eben, zu dulden und alles zu verzeihen“, sagte sich Nadira Khalikova: Nein! „Ich wünsche der Generation meiner Tochter ein anderes Leben. Und so sind unser Modelabel ,My little Bukhara‘ und der Online-Shop entstanden.“

Erlöse fürs Frauenhaus

Was sich ein wenig lapidar anhört, ist tatsächlich eine schier unglaubliche Geschichte. Was Nadira Khalikova quasi im Alleingang geschafft hat, ist selbst für große Handels- oder Mode-Unternehmen kein Kinderspiel. Sie entwirft, sie vertreibt, sie gestaltet den Online-Shop und und und. Alles alleine. Nur zwei Arbeitsschritte überlässt sie den usbekischen Frauen: Weben und Nähen. „Hier geht es nicht um Profit oder Umsatz, sondern nur um die Frauen“, sagt sie, „in der ganzen Lieferkette sind nur Frauen involviert. So wollen wir, dass Frauen durch unsere Aufträge finanziell unabhängig und frei werden“. Außerdem würden Teile des Umsatzes an das Frauenhaus in Bukhara gespendet. „Auf diese Weise helfen wir Frauen, die wegen der häuslichen Gewalt gezwungen werden, ihre Häuser zu verlassen, einen Ort zu finden, indem sie eine Weile wohnen können“, erklärt sie. In Usbekistan würden die wenigen Frauenhäuser allein durch Spenden finanziert: „Die Stadt hält sich raus, leider. Aber mit einem Kleidungsstück von My little Bukhara können andere Frauen diesen Frauen helfen.“

In allem steckt also diese besondere Webstruktur von My little Bukhara. Die Geschichten vieler Feministinnen haben diesen gemeinsamen Webstuhl, deren Gewebe Kraft und Mut verknüpft. Nicht minder wichtig ist es Nadira Khalikova aber zu betonen, dass ihre Mode sehr nachhaltig sei: „Der Ikat-Adras-Stoff wird aus usbekischer Baumwolle und Seide gewebt sowie nur mit den natürlichen Farbmitteln gefärbt.“ In der Kleidung finde man keine Plastikanteile oder chemische Farbstoffe. Ikat Adras sei eine besondere Webtechnik der Stoffmusterung. Der Trick beim Erstellen eines Musters bestehe darin, dass alle Farben auf die Fäden aufgetragen werden, bevor der Stoff gewebt werde. Nur auf dem fertigen Stoff erscheint so das Ornament. Mit diesen bunten Fäden webt sie nun an ihrem Traum: „Mit My little Bukhara will ich den Frauen Usbekistans eine Stimme und ein Gesicht durch faire und bunte Mode geben. Mit jedem verkauften Stück kommen wir unserem Ziel ein Stück näher“, sagt sie und meint damit ein freies, gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben für alle Frauen. Nicht nur in Usbekistan, sondern auf dem ganzen Globus.