Auch mit Spielwaren Reiterle kann der ehemalige Spielwaren-„Kurtz“-Chef Bernd Stocker bei der Markthalle nicht bestehen. Zum Monatsende schließt das Geschäft. Warum hat es wieder nicht funktioniert?

Mit Passion alleine lässt sich kein Geschäft machen. Sonst sterben irgendwann die schönsten Träume an der Kasse. Dieser nüchternen Realität musste sich jetzt auch Bernd Stocker beugen. Der Inhaber des Traditionsladens Spielwaren Reiterle, ehemals Kurtz, hat in diesen Tagen die Notbremse gezogen: „Es geht nicht mehr“, sagte er gegenüber dieser Zeitung, „es gab keine Perspektive.“

 

Das ist umso bitterer für ihn, weil er das Projekt Spielwaren Kurtz mit sehr viel Herzblut wiederbelebt hatte. Der Textilhändler Bellybutton hatte 2020 alle Filialen von Kurtz übernommen und dann mit einem Sortiment bestückt, das nur rund 20 Prozent Spielwaren umfasste. Diese Umwidmung brachte keinen Erfolg. Für Stocker kam damit die Chance, die seit 1833 bestehende Marke wieder mit Emotionen aufzuladen. Ende März dieses Jahres eröffnete er in der Sporerstraße 8 mit dem Slogan „Spielwarenträume werden wahr“ neu.

Am Monatsende ist Schluss

„Wir wollen mit Regionalität, Identifikation und Vertrauen punkten“, sagte Stocker damals und scharte sein altes Team um sich, mit dem er bereits zwischen 2000 und 2005 an gleicher Stelle zusammen gearbeitet hatte. Umso schmerzhafter ist es für Stocker nun, genau diesen Kollegen zu sagen: „Aufgrund der aktuellen und aus unserer Sicht nachhaltig schwierigen Einzelhandelssituation in Stuttgart müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass wir das Traditionshaus Spielwaren Reiterle, vormals Kurtz, zum Monatsende schließen müssen.“

Die Gründe für die Schließung sind vielschichtig. Natürlich zählt Stocker auch die Probleme auf, die gerade alle Einzelhändler im Land betreffen: „Die veränderten Konsumgewohnheiten nach zwei Jahren Pandemie, die seit Februar 2022 alles überlagernde Kriegssituation in der Ukraine, sowie die daraus resultierende Energiekrise und Inflation in Deutschland führen dazu, dass wir unsere Umsatzziele nicht erreichen. Gleichzeitig sind wir von erheblichen Kostensteigerungen betroffen, die einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb unmöglich machen.“

Wasserwerfer am Marktplatz

Aber zugleich treffen ihn und andere Einzelhändler in der Innenstadt die für Stuttgart spezifischen Probleme. Artikuliert hatten dies zuletzt die Industrie- und Handelskammer (IHK), die City Initiative Stuttgart, der Gastro-Verband Dehoga sowie der Handelsverband in einem gemeinsam verfassten Brief an die Stadtverwaltung und an OB Frank Nopper (CDU). Auslöser war die Situation am Samstag, 12. November, an dem ein massives Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern eine große Demonstration am Marktplatz begleitete.

Auch Stocker sieht diese Entwicklung kritisch. Wie andere Händler auch, fragt er sich: Was kommt da noch? Für Stocker und den Stuttgarter Einzelhandel sind Wasserwerfer, die von Polizei und Sicherheitsbehörden weltweit eingesetzt werden, ein Symbol für die gesamte Entwicklung in der City. Kurz gesagt: Die Stadt ist für den Einzelhandel ein schwieriges Pflaster geworden. „Die aktuell fehlende Attraktivität der Stadt Stuttgart, eine fehlende und reibungslose Anbindung des Umlands mit dem öffentlichen Nahverkehr sowie die hohe Anzahl an Versammlungen und Demonstrationen in der Innenstadt führen zu einem deutlichen Frequenzrückgang in der Stadt und im Besonderen bei uns in der Sporerstraße 8.“

Die Stadt ist schwer erreichbar

Damit spricht Stocker die Themen an, die lange diskutiert werden: Die schlechte Erreichbarkeit der Stadt aus dem Umland und der Region, die Verkehrssituation in der Stadt und das Sicherheitsgefühl der Besucher. Der Citymanager Sven Hahn bringt es auf den Punkt: „Diskussionen über Wegfall von Parkplätzen, Fahrverbote und ein unzureichender Ausbau im ÖPNV runden das problematische Bild ab. Von den Verspätungen der S-Bahn aus diversen Gründen gar nicht zu reden.“ Weiter sagt er: „Die Anreise nach Stuttgart ist teuer und teilweise beschwerlich, die Zufriedenheit mit Aspekten wie Parkplatzangebot ist im Vergleich zu anderen Großstädten außergewöhnlich schlecht.“ Hahn legt Wert darauf, dass dies kein Bauchgefühl ist, sondern das Urteil der Besucher.

Teilweise werde von Kommunalpolitikern in entscheidenden Fragen auf schlechte und falsche Zahlen zurückgegriffen, moniert er: „In vielen Diskussionen wird mit Gefühlen, persönlichen Vorlieben, einzelnen Beobachtungen oder ideologischen Überzeugungen argumentiert.“ Er dagegen nehme sein Wissen aus einer Studie. Das Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln hatte dazu repräsentative Ergebnisse geliefert. Seitdem ist klar, dass 50,1 Prozent der Befragten an einem Samstag von außerhalb nach Stuttgart kommen. Für Hahn, aber auch alle Dienstleister, Händler, Gastronomen und Veranstalter bedeutet das: Wenn etwa die Hälfte der Besucher von außen kommt, darf jenen die Anreise nicht unnötig schwer gemacht werden. Die jeweilige Infrastruktur muss stimmen. Sollte sich daran aus Sicht der Händler nichts ändern, dürfte die Liste der Schließungen von Traditionsgeschäften bald noch länger werden. Und Namen wie Maute Benger auf der Königstraße oder Spielwaren Kurtz nur der Anfang sein.