Ihre Wurzeln haben sie im Circus. Nun arbeiten die Zinneckers als Schausteller und haben mit der weltweit größten Weihnachtspyramide ein neues Wahrzeichen auf den Weihnachtsmarkt gebracht.

Stuttgart - Das Schaustellerleben hat so seine Tücken. Andreas Zinnecker hat gerade den Arm in der Schlinge, die Schulter musste man operieren. Beim Versuch seinen uralten Lanz Bulldog mit der Kurbel zu starten, hat der Traktor ausgeschlagen. Muskeln und Sehnen rissen. Nun ist das schon blöd, wenn man einen Bürojob hat. Aber noch viel blöder, wenn man eine 26,5 Meter hohe und tonnenschwere Weihnachtspyramide aus Holz aufzubauen hat. Und dafür nur drei Tage Zeit hat. Oder vielmehr nur drei Nächte, weil man ja mitten auf der Königstraße nicht einfach einen 70-Tonnen-Kran auffahren lassen kann. Den braucht es, um die Spitze mit den 24 sich drehenden Figuren aufzupflanzen.

 

„Das war schon eine Herausforderung“, sagt Andreas Zinnecker, „wir haben kaum geschlafen.“ Die ganze Familie hatte Augenringe, denn die weltgrößte transportable Weihnachtspyramide ist Familiensache. Normalerweise sehen sich Andreas, Claudia, ihre Kinder Manuel, Janet , Lorena, Schwiegertochter Welda und Schwiegersohn Monty Lagerin selten. Unter dem Jahr schnappen sie sich je eines der sechs Fahrgeschäfte der Familie und touren über die Festplätze Europas. In Stuttgart sind sie alle mal beisammen. Zinnecker: „Es ist auch schön, mal unsere sieben Enkel um uns herum zu haben.“

Der Kauf war ein Wagnis

Das ist die angenehme Seite, aber es ist auch notwendig, dass alle Hand anlegen. Sonst rentiert sich die Pyramide einfach nicht. Vor drei Jahren wurde sie ihnen angeboten. Quasi als Überbleibsel einer verblichenen Partnerschaft. So wie es Trennungskinder gibt, gibt es auch Trennungspyramiden. Ein Paar hatte das Geschäft bauen lassen, nachdem sie nicht mehr zusammen leben und arbeiten wollten, mussten sie es verkaufen. Die Zinneckers schlugen zu. Nach langen Diskussionen. „Wir haben hin und her überlegt.“

Denn so eine Pyramide kostet so viel wie eine Eigentumswohnung in Stuttgart. Doch anders als Fahrgeschäfte kann man sie halt nur vier Wochen im Jahr einsetzen. Und wehe, ein Weihnachtsmarkt ist mal verregnet und keiner will Glühwein, Fleischspieße und Würste. Am Ende haben sie es doch gewagt. Weil sie Erfahrung mit riesigen Geschäften haben, seit acht Jahren stehen sie etwa mit ihrer XXL-Schaukel beim Volksfest. Weil sie die nötige Lagerfläche und Ausrüstung hatten, wie Sattelzüge und einen Kran. Und weil die Gene immer noch auf Abenteuer gepolt sind.

Der Vater war bei Sarrasani in Südamerika

Die sind eigentlich eine Zirkusfamilie. Ihre Wurzeln finden sich im Circus Hagenbeck. Und beim Circus Sarrasani. Den der Dressurclown Sarrasani 1902 gegründet hat: Es war der erste elektrisch beleuchtete Zirkus, mit Platz für 3600 Zuschauer. Bei der Bombardierung Dresdens 1945 wird auch der Circus zerstört. Seniorchefin Trude Sarrasani gründet in Argentinien den „Circo Sarrasani Shangri-La“. Den leiten die drei Brüder Karl, Werner und Franz Zinnecker. In den 70er Jahren kehrt Franz nach Deutschland zurück, er wird Schausteller.

Heilig Abend auf dem Wasen

Wie die Vorfahren hat auch er Mut zum Risiko. Er wagt sich an die großen Fahrgeschäfte. Dabei ist es bis heute geblieben. Wobei der Einstieg in die Weihnachtsmärkte bescheiden war – „wir haben Strickwaren verkauft“, sagt Zinnecker. Bis sie die Pyramide kauften. Zwei Jahre standen sie in Spandau beim Weihnachtsmarkt, nun sind sie am Ziel ihrer Wünsche angelangt. „Wir haben schon mit Stuttgart geliebäugelt“, sagt Zinnecker. Nicht nur weil die hiesigen Kollegen sie ermuntert haben, die Kaufkraft größer und die Schwaben den Glühwein nicht so süß mögen wie die Berliner, sondern weil die Stadt ihre neue Heimat werden soll. In Bad Cannstatt haben die Bayern eine Wohnung gekauft, eine Lagerstätte suchen sie noch.

Vorerst stehen ihre Wohnwagen auf dem Wasen. Dort werden sie Weihnachten feiern, nachdem sie am Heiligen Abend noch die Pyramide abgebaut haben. Und dann kann Andreas Zinnecker endlich seine Schulter auskurieren.