Die Verantwortlichen der Stuttgarter Vesperkirche ziehen nach knapp sieben Wochen Bilanz.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Am Samstag geht die 23. Stuttgarter Vesperkirche zu Ende. „Ich bin froh, wenn es Samstagabend ist, es war anstrengend“, sagt Dekan Klaus Käpplinger von der Evangelischen Landeskirche. „Aber es war auch wunderschön“, lautet sein Fazit nach sieben Wochen.

 

Etwa 600 Essen hat das Team der Vesperkirche täglich in der Leonhardskirche ausgegeben. „Das entspricht etwa dem letzten Jahr“, sagt Kurt Klöpfer. Der Diakon hatte in diesem Jahr erstmals die Leitung der Vesperkirche inne und damit die langjährige Leiterin Karin Ott abgelöst.

Die Vesperkirchen werden auch häufig kritisiert, weil sie nur Symptome lindern

Das Essen wird seit einigen Jahren im Rudolf-Sophien-Stift in Heslach gekocht. Die Brote für die Vesperbeutel der Gäste schmieren die ehrenamtlichen Helfer täglich vor Ort. Etwa eine Tonne Wurst habe man dafür gebraucht, wie viele Brote es waren, kann Klöpfer nicht zählen „Vielleicht 400 am Tag.“ Bedürftige haben während der Vesperkirchenzeit die Möglichkeit, sich täglich von 9 bis 16 Uhr in der Leonhardskirche aufzuhalten. Neben einem Vesperbeutel erhalten sie ein günstiges Mittagessen für 1,20 Euro, die Getränke sind kostenlos. Auch da ist in den letzten Wochen viel zusammen gekommen: 800 Kilogramm Kaffee und 4000 Liter Sprudel. Am größten sei der Zuckerverbrauch, sagt Diakon Klöpfer. „Das macht etwa eine Tonne aus.“

Für den reibungslosen Ablauf sorgen rund 800 ehrenamtliche Helfer und ein kleines Team an hauptamtlichen Mitarbeitern der Kirche. Rund 250 000 Euro benötigt die Evangelische Landeskirche jährlich für die Vesperkirche. Die Kosten werden durch Spenden getragen.

Das gefällt allerdings nicht allen in Stuttgart: Andere Träger kritisieren, die Vesperkirche ziehe Spenden und ehrenamtliche Arbeit ab. Armutsforscher sehen zudem bei den Vesperkirchen keinen wesentlichen Erfolg; sie bekämpften die Armut nicht, sondern linderten nur die Symptome für ein paar Wochen.

Die Herkunft entscheidet wieder über den Lebenslauf – auch in Stuttgart

Dekan Käpplinger sagt dazu, er nehme die Kritik zur Kenntnis, wolle sich aber nicht über die Aussagen erheben. „Wir machen das ja nicht, weil die Kirche eine tolle Presse braucht.“ Es sei Aufgabe einer Stadtgesellschaft, für möglichst viele einen Platz zu bieten. „Wegsehen wäre Missachtung, wäre Ignoranz“, sagt Käpplinger. Zudem kooperiere man mit vielen anderen Einrichtungen in Stuttgart wie zum Beispiel mit der Wärmestube und den eigenen Beratungsstellen. „Wir sind kein isoliertes Angebot. Wir sind nicht die Stars, die anderen etwas wegnehmen“, so der Dekan.

Von der Notwendigkeit der Vesperkirche ist das Leitungsteam überzeugt: „Gerade in einer so reichen Stadt wie Stuttgart macht es mich traurig, dass es nicht nur Einsamkeit, nicht nur Wohnungsnot, sondern eine sich stetig verfestigende Armut gibt“, sagt Käpplinger. Er fordert zudem seit Jahren von der Politik, bezahlbaren Wohnraum und bessere Chancen für Langzeitarbeitslose auf dem Arbeitsmarkt. Immer mehr sei inzwischen auch wieder die soziale Herkunft entscheidend für den beruflichen Werdegang eines Menschen.

Zwei Monate Vesperkirche im Jahr machen in materieller Hinsicht natürlich das Leben der meisten Gäste nicht entscheidend besser. „Bei der kritischen Betrachtung spielt aber oft die soziale Armut eine untergeordnete Rolle“, sagt Diakon Klöpfer. Viele Besucher könnten auch mehr, etwa 4,50 Euro für ein Essen bezahlen. Sie kämen aber wegen der sozialen Kontakte, um ein wenig der Einsamkeit zu entkommen.

Die Nachfrage nach den Vesperkirchen ist in Baden-Württemberg ungebrochen groß. Laut der Landeskirche Württemberg wurden in allen Vesperkirchen 148 000 Gäste gezählt. 22 Kirchen hatten bisher geöffnet, fünf starten noch. 4550 Menschen haben gespült, Kuchen gebacken und Brote geschmiert. In der Leonhardskirche ist die größte Vesperkirche in der Region Stuttgart. Auch das Rahmenprogramm ist am umfangreichsten. Der Kulturnachmittag am Sonntag sei ein „Selbstläufer“, sagt Dekan Käpplinger. Viele Firmen aus der Region lassen ihre Auszubildende in der Arbeitszeit in der Vesperkirche helfen, Politiker geben sich gerne ein Stelldichein und helfen öffentlichkeitswirksam mit.

Die Vesperkirche wird gerne von Armustforschern zur „Mitgleidsökonomie“ gezählt

Auch dies wird häufig kritisiert ebenso wie die sich dadurch verfestigende „Mitleidsökonomie“ – also alternative Wege, um Armut zu bekämpfen, die aber am System nichts ändern. Hermann Kieß kann das Wort nicht mehr hören: „Das ist jetzt schon das Unwort 2017.“ Kieß hilft seit Jahren in der Stuttgarter Vesperkirche. Der Staat erlasse Gesetze für alle, dennoch gebe es Lücken und Löcher, die Ehrenamtliche eben manchmal füllen müssten. „Das darf man nicht herabsetzen. Auch kein so ein gescheiter Professor.“