Eine illustre Expertenrunde diskutiert in der L-Bank in Stuttgart, was gegen die Explosion der Mietpreise getan werden kann. Dabei fordert der Intendant der Internationalen Bauausstellung große und hoch verdichtete Neubauprojekte. Stuttgarter Zeitung, L-Bank und Roland Berger haben zu einer Podiumsdiskussion eingeladen.

Automobilwirtschaft/Maschinenbau: Matthias Schmidt (mas)

Stuttgart - Als Andreas Hofer vor fast zwei Jahren nach Stuttgart zog, ging seine Wohnungssuche auch für ihn überraschend glatt vonstatten. Der Intendant der Internationalen Bauausstellung (IBA), die 2027 in der Stadt und der Region Stuttgart stattfindet, fand ziemlich schnell ein Quartier im Stuttgarter Westen. Er hat aber auch gemerkt: „Die Gentrifizierung bin ich.“ Wo vorher vor allem Mittel- bis Geringverdienende lebten, findet ein reger Wechsel statt: „Allein in der Zeit, die ich mitbekommen habe, sind dort, wo ich wohne, vier Wohnungen geleert und zum dreifachen Preis vermietet worden“, berichtete Hofer.

 

Rund 300 Zuschauer

Der Schweizer hat am Donnerstagabend in einer prominent besetzten Podiumsdiskussion über die brennenden Fragen zur Zukunft des Wohnens debattiert. Unter dem Titel „Stadt, Land, Verdruss – Wird Wohnen unbezahlbar?“ stellte sich auf Einladung der Stuttgarter Zeitung, der L-Bank und der Unternehmensberatung Roland Berger ein Expertenquartett den Fragen von Chefredakteur Joachim Dorfs.

Rund 300 Zuschauer folgten hoch konzentriert den Ausführungen von Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), in deren Zuständigkeit als Landesministerin neben Wirtschaft und Arbeit auch der Wohnungsbau fällt, sowie des Heilbronner Oberbürgermeisters Harry Mergel (SPD) und des Vorsitzenden der Geschäftsführung von Stuttgarts städtischer Wohnbaugesellschaft SWSG, Samir Sidgi.

„Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum kann sich zur neuen sozialen Frage entwickeln – wenn man nicht die richtigen Maßnahmen ergreift“, stellte Harry Mergel zu Beginn des Gesprächs fest. Was aber sind die richtigen Maßnahmen?

Samir Sidgi ist mit Andreas Hofer einig, dass angesichts der knappen Bauflächen in den Städten dichter gebaut werden muss. Es müsse ja nicht gleich sein wie bei dem New Yorker Beispiel, von dem Hofer erzählt, wo für „extremes Microliving“ auf 70 Quadratmetern vier Schlafräume und zwei Bäder eingerichtet werden. Aber dichtere Bebauungen als die heute anvisierten 90 bis 100 Wohnungen pro Hektar seien auch bei guter Qualität möglich, sagte Sidgi. Hofer fasste es griffig zusammen: „Ich wünsche mir wieder den Mut vom Asemwald.“ Er erinnerte damit an das Hochhausprojekt im Süden Stuttgarts, das um 1970 herum realisiert wurde und bei den Bewohnern sehr beliebt ist. So viele Flächen seien schlecht genutzt – Parkplätze, Gewerbeparks – die viel intensiver bebaut werden könnten. „Da fehlt mir oft die Kreativität bei meinen Kollegen“, sagte der Architekt. Neue bundespolitische Regeln lassen eine intensivere Nutzungsmischung auch wieder zu, sekundierte ihm die Ministerin.

In Baden-Württemberg bald wieder die Mietpreisbremse

Welchen Anteil hat der Staat an den hohen Baupreisen? Verhindern nicht komplizierte Baunormen, Energierichtlinien und Stellplatzpflichten ein günstigeres Bauen, fragte der Moderator Joachim Dorfs. Nicole Hoffmeister-Kraut räumte ein, dass es Zielkonflikte gebe: „Der Staat gibt die Normen ja nicht als Selbstzweck vor. Wenn man an die Energieeinsparverordnung denkt, dann muss eben eine Abwägung stattfinden, wie Klimaschutz und das Grundbedürfnis nach bezahlbarem Wohnen vereinbart werden können“, sagte sie.

Die Ministerin kündigte zudem an, dass auch in Baden-Württemberg bald wieder die Mietpreisbremse Anwendung finden soll. Derzeit ruht die Regelung, da ein Gericht sie wegen formaler Fehler für unwirksam erklärt hatte. Ihr Ministerium arbeite jedoch daran, bald eine revidierte Fassung in Kraft zu setzen. Dadurch wird festgelegt, dass bei einer Wiedervermietung ein Vergleich zur ortsüblichen Miete gezogen wird. Die neu festgesetzte Miete darf dann nicht um mehr als zehn Prozent über der Vergleichsmiete liegen.

Der wichtigste Ansatz zur Linderung der Wohnungsnot sei aber ein anderer, betonte Hoffmeister-Kraut: er liege im Bau neuer bezahlbarer Wohnungen, den die Landesregierung mit 250 Millionen Euro im Jahr fördere. Heilbronns OB Harry Mergel, der im Zuge der Bundesgartenschau ein hoch attraktives, aber auch hoch verdichtetes neues Stadtviertel am Neckarbogen geschaffen hat, warnte generell davor, die Wohndiskussion nur mit Blick auf die Ballungszentren zu führen. „Wir müssen die Debatte um den Aspekt der Mobilität erweitern“, fordert er. Es gebe auch Kommunen mit Wohnungsleerständen. „So lange man an einer Stadtbahnlinie wohnt, prosperiert der Ort. Andere Gemeinden schrumpfen, weil sie nicht angeschlossen sind. Auch da muss man ansetzen“, sagte Mergel.

Knapper Baugrund limitierender Faktor

In den großen Städten sei der knappe Baugrund der wichtigste limitierende Faktor für den Wohnungsbau, stellte Samir Sidgi fest. Hofer sieht ein großes Problem aber auch in der Zunahme des Wohnraums pro Person. Experten sprechen vom „Remanenzproblem“, das auftritt, wenn die Kinder aus dem Haus sind, die Eltern aber in der eigentlich zu großen Wohnung bleiben, weil eine kleinere bei den heutigen Mieten im Vergleich viel teurer wäre.

Die Diskussion machte deutlich, dass viele Lösungswege gleichzeitig beschritten werden müssen. Selbst eineinhalb Stunden reichten nicht, das Thema in jeder Hinsicht zu erschließen. Es wird alle Beteiligten noch lange beschäftigen – die Experten wie auch unsere Zeitung.