Die Stuttgarter haben eine echte Wahl – und die Stuttgarter Zeitung hat eine besondere Aufgabe, meinen die StZ-Leserbeiräte.

Böblingen: Carola Stadtmüller (cas)

Stuttgart - Das Feld ist „offen, wie nie“, der Wahlkampf „völlig anders“, aber „die Stuttgarter haben eine echte Wahl“: Die OB-Wahl in Stuttgart interessiert auch die Leserbeiräte, die am 8. November nicht wählen dürfen. Deshalb sprachen die elf Frauen und Männer des Gremiums, das sich zweimal im Jahr zum kritischen Austausch trifft, über dieses wichtige Ereignis. Das Treffen fand nicht vor Ort statt, sondern aufgrund der steigenden Infektionszahlen virtuell. Das klappte bestens: Kamera an, Mikro aus, wenn man nicht spricht. Nach sechs Monaten im Homeoffice ist das kleine Einmaleins der digitalen Treffen gelernt.

 

„Das waren jetzt acht verlorene Jahre für die Stadt. Wir brauchen hier einen CEO, der Vorstellungen hat, und die muss er auch umsetzen wollen“, sagte Cornelia Foerster und übte so deutlich Kritik am derzeitigen OB Fritz Kuhn. Der neue Rathauschef brauche „Gestaltungswillen“, forderte auch Andrea Asche, die einen sehr genauen Blick auf die unbekannteren Kandidaten werfen will. Christoph Scharf meinte: „In Stuttgart wird man OB, wenn einem die Leute zutrauen, dass man hinlangt.“ Der Leserbeirat Martin Huttenlocher erzählte von einem Familiengespräch: „Meine drei wahlberechtigten Kinder, 17, 19, 20 Jahre, sagten auf die Frage, wen sie wählen: ,Keine Ahnung, Vadder, aber der Junge, der kann das‘“ und spielte damit auf das Wahlplakat von Marian Schreier an. Doris Helzle dazu: „Nur jung reicht mir nicht.“

Wahlplakate besonders wichtig

Wem wird zugetraut, 12 000 Mitarbeiter zu führen? Jan Sellner, Lokalchef der StZ, berichtete über die Vorstellung von immerhin 14 Kandidaten, über einen Wahlkampf, der sich extrem von dem vor acht Jahren unterscheide: „Es finden wenige öffentliche Termine statt, daher seien die Wahlplakate wichtiger als üblich, sagen uns Experten.“ Dass Veronika Kienzle die Kandidatin der Grünen sei, sei offensichtlich. Frank Nopper zeige sich als CDU-Kandidat eher überparteilich. „Ich denke, dass die Parteien immer eine Rolle spielen, glaube aber, dass die Persönlichkeit bei der Entscheidung ein sehr großes Gewicht haben wird“, sagte der Stuttgarter Lokalchef. Und „es gab nie mehr online als heute“, das sei gut so, vor allem, um jüngere Menschen für Politik zu interessieren. Allerdings gehört dazu auch: Die Kandidaten bespielen etwa ihre Social-Media-Kanäle selbst, machen Werbung in eigener Sache.

Leif Piechowski, Fotograf der Agentur Lichtgut, der den Wahlkampf für die StZ bildlich festhält, beschrieb dieses Phänomen, das er bei sehr vielen Ortsterminen wahrnehme: „Wir werden als Presse extrem beäugt. Unsere Berichterstattung ist etwas, das die Kandidaten nicht selbst beherrschen können, und das sind sie mittlerweile ja fast gewohnt.“ Doris Helzle dazu: „Deshalb kommt Ihnen als Zeitung eine viel wichtigere Rolle zu als früher.“

Journalistische Gewichtung gewünscht

Dazu gehören unter anderem die Themenseiten mit den Positionen aller Kandidaten, die seit einigen Wochen in der Zeitung zu finden sind. Diese Beiträge finden die Leserbeiräte gut und sinnvoll. Porträts ergänzen die Kandidatenkür in der StZ. Die stellvertretende StZ-Chefredakteurin, Anne Guhlich, gab Einblicke: „Wir haben uns dafür entschieden, zunächst die weniger bekannten Gesichter und dann die aussichtsreicheren Kandidaten vorzustellen, je näher die Wahl rückt. Was halten Sie davon?“ Volker Hühn meinte: „Diese Vorgehensweise ist richtig. Ich erwarte bei aller Gleichberechtigung schon auch eine journalistische Gewichtung.“ Die OB-Wahl solle aber auch nicht die ganze Zeitung füllen, mahnte Hans-Michael Obst an.

Die Sensibilität habe extrem an Bedeutung gewonnen, sagte Joachim Dorfs. Das sei auch legitim, die Zeitung stelle sich kritischen Fragen. „Aber die Empörungsbereitschaft ist enorm gestiegen.“ Das habe er vor acht Jahren anders wahrgenommen. Das habe sicher mit vielen gesellschaftlichen Veränderungen zu tun, vielleicht auch mit den Themen oder dem prominenten Kandidaten Kuhn. „Das war damals einfach und klar. Es gab Kuhn gegen Turner oder anders gesagt: Grün gegen Schwarz“, so Cornelia Foerster.

Den Bewerbern auf den Zahn fühlen

„Fragen Sie die Kandidaten nach ihrem Footprint, nach ihren Leistungen, wenn die Amtszeit vorbei ist“, formulierte Andreas Bauer noch einen Wunsch für die Berichterstattung, „und fühlen Sie den Kandidaten bitte noch mehr auf den Zahn.“ Und das ist auf jeden Fall geplant in der Berichterstattung der StZ.