Es steht fest: Weihnachten wird dieses Jahr anders als sonst. Wie anders? Müssen wir abwarten. Umso wichtiger könnten Traditionen und Rituale sein, die noch für die Gegenwart taugen. Hier erzählen bekannte Stuttgarter, wie sie in guten Jahren das Fest bewältigen – also auch 2020.

Stuttgart - Weihnachten rückt näher, auch wenn wir in der Pandemie nicht allzu eng zusammenrücken können. Was ist also der Kitt, der den Kitsch und die Familie trotzdem zusammenhält? Sind es Rituale, die man auch allein zelebrieren kann? Gutsle? Uns erzählen bekannte Stuttgarter, welche Musik sie hören, wie sie ihr Zuhause dekorieren, welche Bücher verschenkt werden – und welche Köstlichkeiten in der festlichen Zeit nicht fehlen dürfen. Ein Dossier über Bräuche, die man besonders in diesem Winter braucht.

 

Martina Schneider ist Co-Chefin der Stuttgarter Restaurants La Casa del Consumo und LA Signorina – und damit Gastroexpertin.

„Jedes Jahr Anfang Dezember beginnt die Familien-Diskussion was es an Hl. Abend zu essen gibt. In den Jahren von Vegetarismus, Unverträglichkeiten, Diäten und Kindern, die keine roten Speisen essen wollen, gab es immer eine Konstante im Menüplan, der Italienische Salat meiner Mutter. Er besteht aus Kartoffeln, Erbsen, Karotten, Eiern, Essiggurken und selbst gemachter Mayonnaise. Was an diesem Salat italienisch ist kann meine Mutter nicht beantworten, sie hat das Rezept in den 60er-Jahren im Kochunterricht der österreichischen Hauswirtschaftschule gelernt. Seitdem ist er ein fester Bestandteil aller großen Familienessen.“

Was hören die Hip-Hop-Helden Orsons eigentlich so zur feierlichen Einkehr? Rapper Bartek Nikodemski verrät es uns:

„Bei Kaas läuft seit einigen Jahren das komplette Christmas Album von Luther Vandross, während er den Christbaum schmückt. Bei mir, Bartek hat sich seit vielen Jahren Frank Sinatra bewehrt. Auch Swing läuft ganz gut rein zur Weihnachtszeit. An Heilig Abend nach der Bescherung ist es dann aber immer ABBA.“

Ein Fest fürs Auge: Stylingqueen Christina Feldmer vom Stuttgarter Vintage Market erzählt, wie sie sich und ihre Umgebung festlich dekoriert.

„Dieses Jahr habe ich Samt und besonders Hosenanzüge wieder neu für mich entdeckt. Als Festtagslook werde ich daher einen schwarzen Hosenanzug aus Samt mit weit geschnittener Hose und lockerem Blazer wählen. Passend zum „Velvet Look“ kombiniere ich spitze Slingback Pumps oder offene Leder-Mules mit Absatz. Bei der Weihnachtsdeko bleibe ich gerne schlicht. Am liebsten entscheide ich mich für ein bis zwei Farben und dekoriere dann in Nuancen. In Kombination mit dem Grün der Tannenzweige eignen sich besonders schön Töne in Creme und Beige.“

O du besinnliche Lesezeit: Autor Kai Wieland verrät, welche Bücher er gern zu Weihnachten verschenken will.

„Weil in meinem Umfeld viel über ausgefallene Reisen und Abenteuer gejammert wird, verschenke ich wohl gleich mehrere Exemplare von Lukas Maisels “Buch der geträumten Inseln” (Rowohlt Verlag, 272 Seiten, 22€). Darin begibt sich ein Abenteurer samt schrulliger Mannschaft auf einem Boot nach Papua-Neuguinea, um dort eine mythische Kreatur aufzuspüren.

Ideal für die fußballaffinen Verwandten und Freunde, insbesondere für VfB-Fans, ist “Turbo” von Andreas Buck und Johannes Ehrmann (Tropen Verlag, 224 Seiten, 20€), in dem anhand von Bucks Karriere die rapide voranschreitende Kommerzialisierung des Profifußballs in den 90er- und frühen 2000er-Jahren nachgezeichnet wird.

Und für den zahlenbesessenen Onkel oder die Wer-wird-Millionär-verliebte Oma greife ich zu “Die Welt verstehen mit 264 Infografiken” (Prestel Verlag, 568 Seiten, 59€), in welchem die unterschiedlichsten Sachverhalte aus allen nur denkbaren Themenbereichen mithilfe von überraschenden und unterhaltsamen Grafiken veranschaulicht werden.“

Nach dem Fest ist vor dem Fest: Der Slam-Poet Nik Salsflausen erzählt, was er an Weihnachten lustig findet und warum er für besinnliche Abhilfe auch mal nackt einkaufen gehen würde.

„Die Menschen irren, wenn sie den Geschenkekauf-Stress als das größte Übel an Weihnachten beschreiben. Die Organisation der Feiertage, das Kochen, den Kindergottesdienst und das Krippenspiel mit dem unoriginellen Plot. Der schlimmste Moment kommt dann nämlich noch…

Was zum honigmarinierten Rentierarsch tut man in der halben Stunde nach der Bescherung? Wenn der Druck raus ist, die Vorfreude auch, wenn an das letzte Rest Feierlichkeit im Knistern des zur späteren (dann ja doch wieder Nicht-)Verwendung zusammenzufaltenden Papiers erstickt? Wenn noch niemand bereit ist, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass es… vorbei ist? Ich laufe dem Menschen, der hier Abhilfe weiß, drei Botengänge zu Galeria Kaufhof am 24.12. nächsten Jahres. Nackt, wenn’s sein muss.“

Wie inszeniert man das Fest? Marie Bues, Intendantin des Theater Rampe, über die Freude am Ritual:

„Weihnachten ist für mich ein Fest der Familien. Das können alle möglichen Familien sein, ob es nun die Ursprungsfamilie, eine neugegründete eigene Familie, oder eine gewählte Gemeinschaft von Freund*innen ist. Ich genieße das schon immer sehr, nach den intensiven ersten Monaten einer Spielzeit kurz rauszukommen. Wir feiern Heiligabend bei meiner Mutter, und alle Geschwister- ansonsten verstreut in der ganzen Welt- kommen heim und wir verbringen Zeit miteinander. Das ist ein sehr schöner Moment, da wir uns über das Jahr nicht so viel sehen. Wir haben uns eine eigene Tradition erschaffen und genießen dieses Zusammensein, abseits aller religiösen Rituale. Auch meinen Vater sehe ich dann und feiere auch mit seiner Familie. Auch hier steht das Zusammentreffen im Vordergrund. Ich finde es zudem total spannend, mit Menschen, die nicht aus der eigenen Bubble kommen über unsere Gesellschaft zu sprechen.“