Experten haben auf Einladung von Stuttgarter Zeitung, L-Bank und Roland Berger über die Folgen von Funklöchern und Schlaglöchern für die Wirtschaft diskutiert. Die Debatte zeigt den Zielkonflikt zwischen möglichst breiter Versorgung und Spitzenleistung.

Stuttgart - Die Staus in Stuttgart sind legendär, auch wenn jetzt München als Stauhauptstadt Deutschlands gilt. Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, hat die Gäste bei der Podiumsdiskussion „Rückgrat und Achillesferse – Bremst die Infrastruktur die Wirtschaft aus?“ in der L-Bank gleich zur Begrüßung noch mit einem weiteren Ärgernis konfrontiert: „Im Stau oder der liegengebliebenen S-Bahn kann man noch nicht mal richtig telefonieren oder surfen, weil die Mobilfunk-Netzabdeckung beklagenswert schlecht ist“, sagte er.

 

Das wollten bei der Veranstaltung von Stuttgarter Zeitung, L-Bank und der Unternehmensberatung Roland Berger nicht alle Teilnehmer unterschreiben. So schlecht sei die Infrastruktur nicht, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), räumte aber ein, dass weitere Verbesserungen notwendig seien. Aus der Sicht des Ministers reflektiert die Debatte über einen großen Investitionsstau und einen Nachholbedarf in dreistelliger Milliardenhöhe den Stand von vor fünf Jahren; seitdem erhöhten die öffentlichen Haushalte die Ausgaben. Hermann wies auf einen anderen Engpass hin: personelle Kapazitäten. Der Minister: „Der Tiefbau kann im Moment einfach nicht mehr bauen.“

EnBW-Chef Mastiaux: Wir sind immer da, wo es teuer wird

Auch Telekom-Vertreter Walter Goldenits, Geschäftsführer Technologie der Deutschland-Tochter, wehrte sich gegen die Behauptung, die Zustände seien „untragbar“ (Verkehrsminister Andreas Scheuer). „Wir haben eine Abdeckung von 95 Prozent und gehen in Richtung 99 Prozent“, sagte Goldenits. Allein im Südwesten plane der Konzern 1250 neue Sendestationen. Auch er wies auf ein Manko hin: „Es dauert 24 Monate, bis der Antrag auf einen Standort durch ist.“

Infrastrukturanbieter ist auch der Energiekonzern EnBW. Vorstandschef Frank Mastiaux definierte das flapsig so: „Wir sind immer da, wo es groß und teuer ist, und wo etwas nicht kaputt gehen darf.“ Mastiaux will dieses Geschäft ausbauen und nennt Verkehrsleittechnik als Beispiel; bei einem Potenzial für Infrastruktur-Investitionen von 150 Milliarden Euro sieht er weitere geschäftliche Möglichkeiten und will sich zum Beispiel bei der Versteigerung von Frequenzen für den neuen Mobilfunk-Standard 5G im kommenden Jahr beteiligen; die genauen Pläne ließ er offen.

Verkehrsminister Hermann will schneller werden

Der Sensorhersteller Balluff mit Sitz in Neuhausen auf den Fildern plant gegenwärtig umfangreiche Investitionen an seinem Standort. Trotzdem ist Geschäftsführerin Katrin Stegmaier-Hermle nicht rundherum mit den Bedingungen vor Ort zufrieden, weil sie Klagen der Mitarbeiter über die Verkehrsbedingungen kennt. Hermann verwies zwar auf die Nähe zu Autobahn und Flughafen, gestand aber auch zu, dass der S-Bahn-Ausbau nach Neuhausen mit größerem Tempo hätte vorangetrieben werden können. Der Minister räumte insgesamt ein, dass in der Region im öffentlichen Nahverkehr ein hoher Nachholbedarf besteht und der Staat bei Planungen ein größeres Tempo an den Tag legen muss.

Stegmaier-Hermle hat aber nicht nur die Mitarbeiter im Blick, sondern auch die Kunden, die teilweise sehr große Datenmengen verarbeiten müssen. Gerade in Baden-Württemberg haben nicht alle namhaften Unternehmen ihren Sitz in der Großstadt; „Hidden Champions“ sind oft auf der Ostalb oder in Hohenlohe zu Hause. Dorfs fragte Goldenits, wie die Telekom sowohl für Spitzenleistung als auch für eine bessere Versorgung in der Breite sorgen wolle. Der Telekom-Manager will Stuttgart beim Glasfaserausbau zur Modellregion machen und stellte Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe in Aussicht. Der Manager: „Wir sagen nicht, dass alles super ist, aber wir tun was.“

Zielkonflikt zwischen Breite und Spitze

Beim Beispiel 5G wurde der Zielkonflikt zwischen Breite und Spitze dann sehr deutlich. Roland-Berger-Berater Torsten Henzelmann sagte, dass 50 Megabit pro Sekunde (MBit/s) nur für Privatnutzer in Frage komme; die Industrie habe viel höhere Anforderungen. Und deshalb hat Henzelmann auch Bedenken, dass die Regulierer womöglich zu stark die Versorgung in der Fläche im Blick haben. Hermann entgegnete, dass die Politik nun einmal die Aufgabe habe, für gleichmäßige Lebensbedingungen zu sorgen. „Wir können nicht nur die Ballungsräume erschließen“, sagte er.

Den Einwand wollte Goldenits nicht so ohne Weiteres akzeptieren. Bis Ende 2022 sollen die künftigen Inhaber der 5G-Lizenzen Autobahnen, große Bundesstraßen und 98 Prozent der Haushalte mit mindestens 100 Mbit/s ausstatten. Unternehmen, die sich auf Industrie 4.0, das automatisierte Fahren oder die Telemedizin vorbereiten, setzen auf das Gigabit-Internet, also 1000 MBit/s. Und 5G verspricht Bandbreiten, die eine Übertragung von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde erlauben. Goldenits hat keine Verständnis dafür, dass die Telekom entsprechend den Auflagen auch da in ein Netz investieren muss, wo Nachfrage fehlt. „Wo sind die Anwendungen, das ist doch eigentlich die entscheidende Frage“, sagte er.