Bei der StZ-Veranstaltungsreihe „Theater X Wirklichkeit“ sind sich der Schriftsteller Feridun Zaimoglu und Ludwigsburgs Oberbürgermeister Werner Spec einig: Nicht die große Politik entscheidet, ob Integration gelingt.

Stuttgart - Vor wenigen Tagen erst hat das Bundeskabinett ein Integrationsgesetz auf den Weg gebracht, doch wer erwartet hatte, dass bei der Sonntagsmatinee „Theater X Wirklichkeit“ der türkischstämmige Schriftsteller Feridun Zaimoglu zu dem Gesetz Forderungen formuliert hätte, sah sich getäuscht. In der gemeinsamen Veranstaltung von Robert-Bosch-Stiftung, Staatstheater Stuttgart und Stuttgarter Zeitung im Foyer des Schauspielhauses in Stuttgart outete sich Zaimoglu als „gut gelaunter Deutscher“, über dessen Name Türken und Deutsche gleichermaßen stolperten. Aber sich deshalb fremd fühlen? Als „gut unterrichteten Touristen“ sieht er sich bei seinem alljährlichen Familienbesuch in der Türkei. Und als „Wandermönch“ auf seinen Lesereisen durch die deutschen Kleinstädte „fühle ich mich sauwohl“.

 

Zaimoglu, das wird rasch klar, mag das „Bekenntnishafte“ an dem Thema nicht besonders. „Ich habe kein Gefühl der Fremdheit, ich bin befremdet über manche Verhaltensstörungen von Zeitgenossen.“ Als Sohn türkischer Einwanderer – die Mutter war Putzfrau, der Vater Metallarbeiter – seien ihm Worte wie „Heimat“ oder „Integration“ nicht geläufig gewesen. „Ich war ein Kind, das mitspielen wollte“, beschreibt er seine damalige Situation. Integration sei für ihn als kleiner Junge „die Schwierigkeit gewesen, in den Alltag derer reinzukommen, die Freunde in der Schule wurden“. Seine Eltern haben ihm damals verboten, Türkisch zu sprechen, damit er schneller Deutsch lernt, von übertriebener Assimilierung will er aber nichts hören. Im Gegenteil. „Deutschland hat eine herrliche Integrationskraft“ sagt er und berichtet von einer Frau, die ihm Eierlikörpralinen durch die Hecke zusteckte und von einem Nachbarn, der ihm beibrachte, mit den Nasenflügeln zu pfeifen.

Die Angst vor dem Fremden sei eine Urangst

Auch der Ludwigsburger Oberbürgermeister Werner Spec, der bei Sigmaringen aufgewachsen ist, tut sich schwer zu beantworten, wann und wo er sich fremd fühlt. Am ehesten verbindet er Fremdheit mit Erinnerungen an Ostberlin vor der Wende; die Erfahrung staatlicher Willkür habe ihm bewusst gemacht, „auf welch tollem Kontinent ich lebe“. Er erinnert an die vielen Kasernen Ludwigsburg, in denen nach dem Krieg nicht nur viele Internierte, sondern auch Tausende Vertriebene sowie Flüchtlinge und ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen untergebracht waren. Und er verweist darauf, dass Migration kein neues Phänomen ist; Württemberg könne eine lange Geschichte der Integration – etwa der Waldenser, Juden oder Hugenotten vorweisen. Und auch Abwanderung – etwa nach Amerika oder wie die Donauschwaben in Richtung Russland – habe es schon gegeben. „Migration ist der Normalfall“, bilanziert Spec. Er findet es auch nicht tragisch, dass bei jedem Bau einer neuen Flüchtlingsunterkunft die gleichen Ängste vor Fremden neu aufkeimten. Die Angst vor dem Fremden sei eine Urangst, weil das in Jahrtausenden immer wieder auch mit Gefahren verbunden gewesen sei.

„Man kann die Angst aber überwinden, indem man sich mit dem Thema beschäftigt“, zeigt sich Spec überzeugt. Er glaubt, dass die Migranten dem überalterten Deutschland und Europa einen Dienst erweisen, weil sie die Demografie und ihre vorhersehbar schwer wiegenden sozialen Folgen mildern können. Und er hat mit den Flüchtlingen in seiner Stadt auch die Erfahrung gemacht „wenn die Fremden ein Gesicht bekommen, entsteht Empathie“. Spec unterscheidet deshalb: „Ängste sind nicht unanständig, unanständig ist, wenn die Politik daraus Kapital schlägt.“

Hopfen und Malz verloren

Zaimoglu stößt auf Nachfrage der Moderatoren Hilke Lorenz und Armin Käfer ins gleiche Horn und lobt vor allem die Kirchen für ihr großes Engagement. Er plädiert dafür, miteinander über Sorgen und Erwartungen zu sprechen, zeigt allerdings aber auch Grenzen auf. Wenn von „schleichender Landnahme“, „Invasion“, Menschen als „Ungeziefer“ und Moslems als „Keimträger“ geredet werde, dann sei man wohl bei den „zehn bis 20 Prozent derer angelangt, die es in jedem Land gibt und die von Fremdenabwehr“ träumen. Bei denen sei Hopfen und Malz verloren.

Einig sind sich der kommunale Praktiker und der Schriftsteller mit Migrationshintergrund auch in der Einschätzung, dass sich nicht nur die Deutschen öffnen müssen, sondern gleichermaßen auch die Zugewanderten. Regelverstöße wie in Köln dürften ebenso wenig toleriert werden wie Parallelgesellschaften. „Säuisches Benehmen wird in keinem Land geduldet“, bringt das Zaimoglu auf den Punkt. Aber auch Specs Mahnung findet Beifall: „Unsere Freiheit hat einen Preis, das ist die Verantwortung jedes Einzelnen“, sagt er. „Diese Verantwortung liegt im Konkreten“ – ob im gelebten Alltag mit Flüchtlingen oder im bewussten Verhalten als Verbraucher, um die Lebensbedingungen der Menschen in ihrer Heimat zu verbessern.