Bei der StZ-Podiumsdiskussion zum Thema „Zwischen Digitalisierung und Fachkräftemangel – wie arbeiten wir in Zukunft?“ haben Experten in der L-Bank in Stuttgart über die Digitalisierung und ihre gravierenden Auswirkungen auf die Arbeitswelt gesprochen.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Die Digitalisierung wird zwar Einzug in Fabriken, Büros und den Handel halten, selbst mancher Bauer geht bereits mit dem Tablet in den Stall – aber die Digitalisierung wird nicht zum reißenden Strom, der die bisherige Arbeitswelt hinwegspült. Darin sind sich die meisten Experten, die sich mit dem Thema Digitalisierung der Arbeitswelt beschäftigen, einig. Auf breiter Front komme die Digitalisierung, aber „nicht so schnell, wie manche Panikmacher uns glauben machen“, sagt auch Stefan Schaible, Senior Partner und Deutschlandchef bei der Unternehmensberatungsgesellschaft Roland Berger.

 

Bei der Podiumsdiskussion von Stuttgarter Zeitung, Roland Berger und dem landeseigenen Förderinstitut L-Bank zum Thema „Zwischen Digitalisierung und Fachkräftemangel – wie arbeiten wir in Zukunft?“ in der Rotunde der L-Bank macht Schaible aber auch eins deutlich: „Die Digitalisierung wird unsere Arbeitswelt innerhalb von nur einer Generation nachhaltig verändern.“

Viele Umwälzungen, die erfolgreich gemeistert wurden

Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut zeigt sich angesichts der Herausforderungen durchaus optimistisch. Vom Beginn des Frühkapitalismus bis hin zur sozialen Marktwirtschaft habe es schon viele Umwälzungen gegeben, die wir „erfolgreich bestanden haben“. Der Blick zurück macht der Ministerin denn auch Mut beim Blick nach vorn: „Ich bin überzeugt, das wird uns auch heute wieder gelingen“, meint Hoffmeister-Kraut. Allerdings hätten viele kleine und mittlere Unternehmen noch Nachholbedarf: „Wir müssen mehr Dynamik reinbringen“, sagt die Wirtschaftsministerin. Dass durch die Digitalisierung per Saldo Arbeitsplätze wegfallen, glaubt Hoffmeister-Kraut nicht: „Ich sehe die Chance, dass neue Arbeitsplätze entstehen.“

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Auf die Frage von Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung und Moderator der Runde, ob sich durch die Digitalisierung der Fachkräftemangel weiter verschärfe, antwortete Schaible: „Möglicherweise ergänzen sich Digitalisierung und demografischer Wandel vorteilhaft.“ Und zwar deshalb, weil es wegen der sinkenden Zahl an Erwerbstätigen durchaus sinnvoll sei, dass Maschinen Arbeiten übernehmen würden. Doch angesichts des zunehmenden Mangels an Fachkräften müsse gerade die jetzige gute wirtschaftliche Situation genutzt werden, um bei der Digitalisierung voranzukommen. Wenn man erst in eine Krisensituation gerate und bei der Digitalisierung nichts erreicht habe, „dann wird mir Angst und Bange“, sagt Schaible. Auch die Politik müsse handeln – etwa durch eine gesteuerte Einwanderung und eine gezieltere Förderung von Menschen aus einfacheren Verhältnissen.

„Viele Menschen“, so Michael Brecht, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Daimler, „haben eben zunächst einmal Angst vor Veränderungen.“ Deshalb mache er als Betriebsrat deutlich, dass die Digitalisierung nichts Negatives sein müsse. Wenn sich Unternehmen nicht um die Digitalisierung kümmerten, „dann werden wir abgehängt“ – das sei die eigentliche Gefahr für die Arbeitsplätze.

Christoph Kübel, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor der Robert Bosch GmbH, sieht die Digitalisierung denn auch als Chance für Beschäftigte und Unternehmen. Die Mitarbeiter bekämen vielfältigere Aufgaben, Unternehmen wie Bosch könnten sich ganz neue Geschäftsfelder erschließen. Man brauche aber auch Zeit, um Verbrennungsmotoren sauberer zu machen. Man könne dem Kunden aber auch sagen, „dass auch ein Auto mit Verbrennungsmotor ein gutes Auto ist“. Für Schaible ist aber nicht nur die Industrie von den Umwälzungen betroffen: „Das wird massiv werden bei Verwaltungsdienstleistungen und im Finanzwesen. Das wird dramatisch“, prophezeit der Roland-Berger-Berater.

Bosch-Manager Kübel fordert flexiblere Arbeitszeit-Regelungen

Nach Ansicht Kübels wird die durch die Digitalisierung notwendige Flexibilität aber durch zahlreiche Regelungen behindert, etwa durch das Arbeitszeitgesetz. Dieses verlangt, dass zwischen dem Arbeitsende und der Wiederaufnahme der Arbeit eine Ruhepause von elf Stunden liegen müsse – diese Pause sollte nach Ansicht des Bosch-Arbeitsdirektors auf neun Stunden reduziert werden. Dies sei dann sinnvoll, wenn die Beschäftigten selbst entscheiden könnten, wie sie ihre Arbeitszeit über den Tag verteilten, also etwa, wenn jemand eine Tätigkeit ausübe, bei der er beispielsweise vormittags und abends arbeite, sich den Nachmittag aber freinehme. Bei vielen Ungelernten fehle aber die Einsicht in die Notwendigkeit der Weiterbildung – „doch gerade deren Arbeitsplätze können wegfallen“. Doch auch die Unternehmenskultur habe sich gewandelt. „Wir haben keine Präsenzkultur mehr, wir haben eine Ergebniskultur“, sagt Kübel. „Es wird viel weniger hierarchisch geführt.“ Doch auch ein lockererer Umgang mache die Gewerkschaften nicht überflüssig. „Wir reden immer über den Personenkreis, der Freiräume hat. Es gibt aber viele Kollegen mit weniger Freiräumen. Auch um diese müssen wir uns kümmern.“

Noch viel zu tun in der Weiterbildung

Einig sind sich praktisch alle Experten – auch die auf dem Podium – , dass vor allem in der Weiterbildung noch viel zu tun ist: Angesichts immer schnellerer Innovationszyklen besteht hier nach Ansicht Brechts „Handlungsbedarf“. Permanente Weiterbildung werde zur Grundvoraussetzung für die Teilhabe am Arbeitsmarkt, meint der Daimler-Betriebsratschef. Dies könne nicht nur auf die Beschäftigten abgewälzt werden: Individuelle Qualifizierung müsse von Unternehmen und Politik unterstützt werden, verlangt der Arbeitnehmervertreter. Nach Ansicht Hoffmeister-Krauts ist die Weiterbildung dabei nur ein Baustein. Die Qualifizierung jedes Einzelnen müsse schon in der Schule beginnen: „Wir verstehen Bildung als Schwerpunktthema der Digitalisierungsstrategie des Landes“, sagt die Wirtschaftsministerin. Auch sie selbst profitiert als Mutter von drei Kindern von der Digitalisierung: „Mein iPad ist mein Arbeitsplatz geworden.“ Damit steht sie nicht allein: „Ich war zunächst mal ein Lernender, aber wir haben ganz viele Veränderungen im Unternehmen, die mich beschäftigen. Wir sind eine Art großes Start-up geworden“, sagt Kübler über den Riesen Bosch. Für Berater wird die Digitalisierung geradezu zu einer Geschäftsgrundlage. „Wir müssen als Beratung bei Digitalisierung vorne dran sein“, sagt Schaible von Roland Berger. „Das ist die Voraussetzung, dass die Kunden mit uns sprechen.“