Bräune gilt hierzulande als Schönheitsideal. Allerdings schadet das Sonnenbad der Haut. Und dabei wird das Glückshormon Serotonin ausgeschüttet, das zur Sucht führen kann – die sogenannte Tanorexie. Was genau steckt dahinter?

Wenn Micky Krause seinen Mallorca-Hit „Biste braun, kriegste Fraun“ schmettert, stehen einem Dermatologen vor Entsetzen die Haare zu Berge. Und das nicht allein, weil die Musik seinem ästhetischen Empfinden widerspricht. „Eine Bräunung ist immer eine Verzweiflungstat der Haut. Da reagieren die Zellen und produzieren unermüdlich Melanin“, erklärt Yael Adler, Hautärztin und Autorin des 2016 erschienen Buches „Haut nah“.

 

Die Sonne hat zweifellos ihre positiven Seiten: Das Schlafhormon Melatonin wird abgebaut, Vitamin D für Knochen, Muskeln und Stoffwechsel gebildet, und der Körper schüttet beim Sonnenbad gar Serotonin aus, das Glückshormon. Es gaukelt unserem Gehirn vor, es gehe uns gut, ungeachtet dessen, dass unsere Haut Schaden nimmt. Und dieses Hochgefühl schafft beste Voraussetzungen für übermäßigen Konsum bis hin zur Sucht: einer Bräunungssucht, der sogenannten Tanorexie.

Bräunungssucht unter Medizinern kaum bekannte Krankheit

„Die Endorphine, die beim Bräunen freigesetzt werden und Glücksgefühle auslösen, führen nach dem Absetzen dann ebenso zu Entzugserscheinungen. Das kann ähnliche Ausprägungen haben wie bei einer Opiatabhängigkeit“, beschreibt Wolfgang Harth, Chefarzt des Vivantes-Klinikums Spandau in Berlin, die Sucht. Sehr bekannt ist diese nicht, nur wenige Medizinerinnen und Mediziner kennen sich damit aus . Die Nachfrage regelt vermutlich auch hier das Angebot, denn kaum ein Betroffener geht zum Arzt und sagt: Doktor, ich habe Bräunungssucht. Vielmehr wird sie als Nebenbefund festgestellt, wenn Patienten, oft mit bösartigen Hautveränderungen, beim Dermatologen vorstellig werden.

„Es wird ungern zugegeben, dass man zu viel in der Sonne ist“, sagt Harth. „Das ist ähnlich wie bei Alkoholikern, die auch nicht ehrlich antworten und sagen: Ich trink doch abends nur ein Bier. Hier spielen Betroffene den Lichtkonsum herunter und empfinden sich dabei noch als zu blass.“

Bräune ist nicht in allen Teilen der Welt ein Schönheitsideal

Dabei war viele Jahrhunderte das Braunsein verpönt, weil nur Bauern, Sklaven und Seeleute eine dunkle, gegerbte Haut hatten. Doch im 20. Jahrhundert vollzog sich ein Wandel, der Bräune zum Schönheitsideal machte. Seitdem ist der Teint eine Frage des Status und des Prestiges. Bräune zeigt: Mir geht es gut, ich bin sportlich, ich habe genug Zeit, um in die sonnigsten Gebiete der Welt zu reisen. Es ist schwierig, auf einer Luxusjacht oder dem Tennisplatz ungebräunt zu bleiben. „In Asien dagegen ist die weiße Haut als Schönheitsideal favorisiert, weil man davon ausgeht, dass gebräunte Menschen auf dem Feld arbeiten“, erklärt der Berliner Arzt.

Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz und ungeachtet des umfangreichen Wissens um die Gefahren von Hautkrebs und vorzeitiger Hautalterung brutzeln Menschen weiter in der Sonne, Kinder werden oft nur spärlich mit Sonnenschutz versorgt, und ein Tag am Strand gilt als Freude pur. „Sonne ist antidepressiv wirksam und gibt dem Träger somit mehr Selbstbewusstsein“, weiß Wolfgang Harth. „Man wird als attraktiver eingeordnet, bekommt Aufmerksamkeit, und das Belohnungssystem wird aktiviert“, sagt der Dermatologe.

Bräunungssüchtige zeigen sich nach Beratung oft uneinsichtig

Das Belohnungssystem will manchmal mehr davon, wie bei Alkohol oder Drogen. Ist der Sommer dann vorbei, kann ein Tanorektiker auf den Kick nicht mehr verzichten und geht in Sonnenstudios. Die Zugangsbeschränkung für unter 18-Jährige impliziert zwar eine gewisse Gefahr, aber Ratschläge werden gern missachtet. „Beim Solarium haben Sie die 1000-fache UVA-Dosis vom natürlichen Sonnenlicht“, sagt Hautärztin Adler: „Diese UVA-Strahlung macht im Gegensatz zur UVB-Strahlung zwar nicht sofort Schäden im Erbgut, aber sie begünstigt dennoch Hautkrebs, weil die Immun- und Tumorabwehr unterdrückt werden und freie Radikale entstehen, die die DNA und andere Zellbestandteile kaputt machen.“

Die Folge: Basaliome, Spinaliome und maligne Melanome. Klingt böse und ist es auch. Auf Verständnis trifft man bei Betroffenen selten. Viele spazieren aus der Klinik ins nächste Bräunungsstudio: „In der Nachsorge sehen wir häufig, dass sich das Verhalten der Patienten nicht bessert. Da ist selten Einsicht“, sagt Chefarzt Harth. „Anders ist es, wenn Patienten in Psychotherapie sind. Da kann man versuchen, einen anderen Lebensstil zu erarbeiten.“

Dem Süchtigen gehört die Scheinwelt, doch selten lässt sich die Tanorexie auf eine Störung beschränken; vielmehr geht sie Hand in Hand mit anderen Erkrankungen wie Zwangsstörungen, Essstörungen, Körperdysmorphie oder Alkoholabhängigkeit.

So beugt man Hautkrebs vor

Erkrankte
 Mehr als 230 000 Menschen in Deutschland erkranken jährlich an Hautkrebs. Weltweit sind es nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO etwa drei Millionen. Laut einer Studie der Brown University in Rhode Island reichen bereits fünf Sonnenbrände vor dem 20. Lebensjahr aus, um das Hautkrebsrisiko zu erhöhen.

Vorbeugung
„Die Ernährung hilft, vor Sonnenschäden zu schützen“, sagt Hautärztin Yael Adler. „Sekundäre Pflanzenstoffe wie Betacarotin aus Möhrensaft oder Lycopin aus Tomatenmark lagern sich in der Haut ab. Betacarotin verlängert den Eigenschutz der Haut um das Zwei- bis Dreifache.“ Weitere schützende Stoffe sind Chlorophyll, zu finden in Brokkoli und Kohl, Epigallocatechin-Gallat im Matchatee, aber auch Vitamin D sowie Omega-3-Fettsäuren.