Der Suizid zweier Sängerinnen wirft ein Schlaglicht auf das alltägliche Leid vieler Frauen.

Seoul - In ihrem letzten Instagram-Post blickt sie mit leeren Augen in die Kamera, im Schlafzimmerbett liegend, unterschrieben mit „Gute Nacht“. Keine 24 Stunden später wird der leblose Körper der K-Pop-Sängerin Goo Hara in ihrer Wohnung im Seouler Nobelbezirk Gangnam gefunden. Offiziell untersuchen die Seouler Polizeibehörden noch die genauen Ursachen, doch für die meisten Fans scheint der Fall klar zu sein. „Vielleicht konntest du die Stimmen voll Liebe und Unterstützung nicht hören, weil die Stimmen des Hasses zu laut waren“, schrieb einer auf Goos Instagram-Account.

 

Bereits im Mai musste die 28-Jährige, die zuletzt vor allem in Japan Erfolge feierte, nach einem Suizidversuch ins Krankenhaus eingeliefert werden. Voller Demut entschuldigte sie sich damals vor ihren Fans, sie würde derzeit eine schwere Zeit durchmachen. Ihre private Tragödie wurde zuvor in den südkoreanischen Boulevardmedien prominent ausgebreitet: Goo Haras Ex-Liebhaber plante, ihre Karriere zerstören – und drohte, gemeinsame Sex-Videos zu veröffentlichen. Auf Videoaufnahmen einer Sicherheitskamera ist die Südkoreanerin, auf Knien bettelnd, vor dem Mann zu sehen, offensichtlich um ihn davon abzuhalten. Das Perfide: Als sich Goo an die Polizei wandte und Anzeige erstattete, wurde sie von einem wütenden Internet-Mob angefeindet. Als „Schlampe“ bezeichneten sie einige Nutzer, andere machten sie für ihre falsche Männerwahl verantwortlich.

Es ist nicht der erste Suizid eines K-Pop-Stars

Nicht nur von ihren Fans musste sie Schuldzuweisungen ertragen: Auch ihr Label hat ihren Vertrag während des Skandals nicht erneuert – und das Gericht verurteilte den Ex-Freund zwar wegen Nötigung und Erpressung zu eineinhalb Jahren Haft, setzte die Strafe jedoch auf Bewährung aus. In der Begründung ließ Richter Oh Duk-shik verlauten, dass die beiden schließlich eine einvernehmliche sexuelle Beziehung geführt hätten, die von der Sängerin Goo initiiert wurde.

Ihr mutmaßlicher Freitod reiht sich ein in eine lange Riege an weiblichen K-Pop-Stars, die sich in der extrem hierarchischen und männerdominierten Branche das Leben nahmen: Erst im Oktober wurde die 25-jährige Sängerin Sulli in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Als eine der wenigen offenen Feministinnen in der konservativen Gesellschaft litt sie ebenfalls unter massivem Cyber-Bullying. Ihre scheinbaren Skandale muten geradezu harmlos an: So postete sie Fotos auf sozialen Medien, auf denen sich unter ihrem T-Shirt eine Brustwarze abzeichnete. Im konservativen Südkorea reagierten jedoch viele Männer erzürnt, dass eine Frau es wagen könne, ohne BH in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Hinter der glitzernden Fassade tun sich Abgründe auf

Nach außen hin propagiert die K-Pop- Branche eine glitzernde Heile-Welt-Fassade. Mit Bands wie BTS und Blackpink feiert die Industrie auch außerhalb Asiens mittlerweile Erfolge. BTS etwa gilt derzeit als weltweit populärste Boyband, die drei Alben innerhalb von nur zwölf Monaten an der Spitze der US-Billboard-Charts platzieren konnte. Vor ihnen gelang das nur den Beatles und den Monkees.

Doch hinter den Kulissen des K-Pop-Geschäfts tun sich Abgründe auf: Bereits in jungen Teenagerjahren binden sich die Künstler mit Knebelverträgen an ihre Labels, die massiven Einfluss auf ihr Privatleben haben. Besonders Frauen müssen die rigiden Moralvorstellungen der konfuzianischen Gesellschaft Südkoreas erfüllen: Romantische Beziehungen dürfen nicht an die Öffentlichkeit, Schönheitsoperationen fürs makellose Aussehen werden erwartet. Jeder potenzielle Skandal kann das Karriereende bedeuten – und K-Pop-Sängerinnen lösen oftmals bereits einen Shitstorm aus, wenn sie feministische Bücher lesen. Dass junge Frauen besonders anfällig für sexuelle Ausbeutung sind, wird auch durch die paternalistischen Strukturen der südkoreanischen Unterhaltungsindustrie begünstigt. „Labels behandeln ihre Bands von Beginn an wie Konsumgüter. Sie wollen auf keinen Fall in eine Situation kommen, in der eine Band unersetzlich wird“, schreibt Euny Hong in ihrem Buch „The Birth of Korean Cool“.

Viele Sängerinnen werden erbarmungslos ausgebeutet – und missbraucht

Solche Vorwürfe sind spätestens seit dem Suizid von Jang Ja-yeon im Jahr 2009 bekannt. In einem siebenseitigen Abschiedsbrief schilderte die damals 27-Jährige, wie ihr Manager sie regelmäßig misshandelte und für sexuelle Dienste an seine Geschäftspartner weiterreichte. Infolgedessen wurden gegen mehr als 20 mächtige Männer in den Chefetagen der Medien- und Unterhaltungsbranche polizeiliche Untersuchungen eingeleitet. Verurteilt wurde jedoch nur Jangs Manager.

Monate vor ihrem Suizid sprach die Sängerin Goo Hara im Fernsehen offen über den Druck der Öffentlichkeit in Südkorea: „Wir müssen vorsichtig sein vor jedem Schritt, den wir im Leben machen, und wir leiden unter einem Kummer, den wir nicht mal mit unseren Freunden oder Familien teilen können.“