Hobbyforscher und Umweltschützer, die als „Fußsoldaten der Wissenschaft“ zwei Wochen lang den Dschungel von Sumatra durchforsten, brauchen Idealismus. Das vom Aussterben bedrohte Raubtier macht sich rar.

Es ist eine erbärmliche Schinderei. Matthias, der Architekt aus Hessen, keucht und schüttet gierig einen halben Liter Wasser in sich hinein. Michael aus Sydney, Inhaber einer Softwareschmiede, lässt sich fallen, wo er steht, und schläft erschöpft ein. Steve, der in Hongkong eine Zeitschrift herausgibt, fummelt ein paar Dornen aus seinem Finger, die beim Griff an einen Schlangenhautfruchtbaum stecken geblieben sind. Auf seinem Hemdärmel breitet sich ein kleiner Blutfleck aus: Offenbar hat er einen der harmlosen Blutegel nicht rechtzeitig entdeckt. Allein Febri, der indonesische Biologe, der mit der Machete die sperrigsten Äste weggeschlagen hat, wirkt völlig unangestrengt. Drei Stunden lang haben sie sich von Bäumchen zu Bäumchen den steilen Hang hochgehangelt. Immer wieder sind sie auf schmierigen Blättern abgerutscht oder haben sich in einer Lianenschlinge verheddert. Trotz aller Anstrengung versuchten sie, den Boden ringsum im Blick zu behalten: Hat irgendwo ein Tier eine Spur hinterlassen? Und sie wurden fündig: In einer Baumrinde entdeckten sie präzise Kerben. Steve notierte: „Zelle AA 130. Malaienbär. Kratzspuren.“ Allen läuft der Schweiß in Bächen über das Gesicht. So kräftezehrend hat sich keiner das Unternehmen „Tigerforschung in Sumatra“ vorgestellt. Aber sie haben sich freiwillig darauf eingelassen. Insgesamt fünf Frauen und Männer von drei Kontinenten opfern als „Fußsoldaten der Wissenschaft“ ihren Urlaub und leben zwei Wochen lang in einem luftigen Camp des World Wildlife Fund (WWF) am Subayang-Fluss an der Grenze des Rimbang-Baling-Schutzgebiets. Sie schlafen auf der Veranda und steigen jeden Morgen in Hemden und Hosen, die in der feuchten Luft einfach nicht mehr trocknen wollen.

 

Forscher haben Sumatra in Planquadrate eingeteilt

Während der ersten beiden Tage haben sie mehr über das Projekt erfahren: Der Sumatra-Tiger ist vom Aussterben bedroht. Etwa 300 Exemplare, schätzt die Regierung, leben noch. Der WWF untersucht seit 2004 den Bestand und hat mit seinen Kamerafallen bisher rund 50 Einzeltiere identifiziert. Die Forscher haben ganz Sumatra in zwei mal zwei Kilometer große Zellen aufgeteilt. Diese Planquadrate werden zu Fuß nach Spuren von Tigern und Beutetieren abgesucht. An geeigneten Stellen werden Kamerafallen angebracht, in den Dörfern Menschen nach ihren Erfahrungen mit Tigern befragt. Die gesammelten Daten münden am Ende in Vorschläge an die Regierung, welche Landschaftsteile besonders streng zu schützen sind - und wie. Mit einem der Langboote geht es jeden Morgen über den Subayang zum Ausgangspunkt in ein neues Planquadrat. Sticht an einem Tag die Sonne gnadenlos, prasselt am anderen ein tropisches Trommelfeuer vom Himmel. Die Hobbyforscher klettern über das Wurzelgewirr gestürzter Bäume und durch Felstunnel, in denen Fledermäuse aufflattern. In manchen Flüssen reicht das Wasser bis zum Knie. Immer lautet die Tageslosung: Augen auf! Makaken toben durch die Bäume, Spuren von Tapiren, von Muntjakhirschen und Ottern werden gesichtet. Von dem aber, um den sich alles dreht, findet sich nicht das geringste Anzeichen. Mit 99-prozentiger Sicherheit, hatte Expeditionsleiter Ronald gewarnt, werde man keinen Tiger zu Gesicht bekommen. Er behält recht.

Manchmal kommen den Teams in den Flüssen junge Männer entgegen, die an Seilen Dutzende sorgfältig zurechtgesägter Holzplanken flussabwärts treideln. Auch auf dem Subayang sind immer wieder Boote unterwegs, Flöße aus 40, 50 Stämmen im Schlepptau. Die Begegnung mit dem illegalen Handel führt zu lebhaften Diskussionen. Wenn jede Woche allein hier ein paar Fußballfelder an Regenwald vernichtet werden - welchen Sinn macht dann die eigene, kleine Arbeit? Es ist Febri, der oberste Naturschützer, der für Verständnis plädiert: Diese Leute seien keine Kriminellen. Sie schlügen Holz, um ihre Familien durchzubringen, denn nicht jeder hier besitze eine Kautschukplantage oder finde Arbeit. Ändern könne sich nur langfristig etwas, über die Erziehung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Trotz der deprimierenden Erfahrungen stellen die Hobbyforscher ihr eigenes Tun nicht infrage. Naturschützer seien die Ambulanz, die den Patienten am Leben erhalte, meint Biosphere-Gründer Matthias Hammer, so lange, bis die Ärzte, die Politiker den eigentlichen Heilungsprozess einläuteten. Über ihre Motivation reden die fünf wenig. Sie gehören zu denen, die am Tag vor dem Weltuntergang noch das berühmte Apfelbäumchen pflanzen würden. Also fahren sie weiterhin jeden Tag hinaus und kehren spätnachmittags zurück. Sie heften die vollgeschriebenen Formulare ab, pflastern ihre Blasen zu oder waschen Hemden und Socken. Andere legen sich hin, genießen ein kühles „Tiger“-Bier und schreiben Tagebuch. Um 19 Uhr kommt per Boot das fertige Abendessen aus dem Dorf. Um halb zehn geht der Generator aus, die Lichter erlöschen. Schließlich heißt es, um sechs wieder aufzustehen. Die Ambulanz muss früh auf Posten sein.