Sport: Marco Seliger (sem)
Sebastian Rudy kam aus der VfB-Jugend, Sie auch – was meinen Sie konkret mit dieser Problematik?
Der VfB wurde ja immer zurecht für seine tolle Jugendarbeit gelobt. Die Vereinsführung gab auch immer vor, auf die eigenen Talente setzen zu wollen – doch dann wurde diesen Talenten oft nicht genügend Zeit gegeben, um zu reifen. Dazu hatten die Spieler, die von anderen Vereinen verpflichtet wurden, meiner Meinung nach eher einen höheren Stellenwert als die Jungs aus dem eigenen Stall. Dann kam es zum Vereinswechsel – und plötzlich starteten viele VfB-Talente woanders durch.
Auch der aktuelle Vorstand um den Präsidenten Wolfgang Dietrich hat es sich auf die Fahnen geschrieben, den eigenen Nachwuchs zu fördern und auf ihn zu setzen. Sehen Sie eine Entwicklung zum Positiven?
Ja, ich habe das Gefühl, dass jetzt vieles besser ist und der eingeschlagene Weg mit der Förderung der Talente auch gelebt wird. Man muss den Jungs die Zeit geben, um zu reifen, man muss ihnen Wertschätzung entgegenbringen.
Wertschätzung ist ein gutes Stichwort. Sie haben damit in München auch schon Erfahrungen gemacht. Seit ein paar Monaten stehen Sie für den verletzten Manuel Neuer im Tor. Nach einem Fehler zu Beginn attestierte Ihnen der TV-Experte Lothar Matthäus eine Sehschwäche. Jetzt, nach konstant starken Leistungen in den vergangenen Monaten, hat Sie Matthäus als Kandidat für die WM ins Spiel gebracht. Wie gehen Sie mit so etwas um?
Ich mache mich davon komplett frei. Ich lasse Kritik von außen nicht mehr so an mich heran, wie es früher als junger Profi noch der Fall war. Ich habe gelernt, wie schnelllebig dieses Geschäft ist. Heute bist du der Depp, morgen der Held in der öffentlichen Wahrnehmung, so ist das eben. Das perlt aber mittlerweile an mir ab. Ich habe mir mit der Zeit eine innere Gelassenheit antrainiert. Das Feedback meines Cheftrainers und des Torwarttrainers ist mir wichtig, der Rest nicht mehr.
Das Feedback von Jupp Heynckes war zuletzt sehr positiv. Der Coach hatte Ihnen von Beginn an das Vertrauen ausgesprochen, Sie zahlen es seit Wochen mit starken Leistungen zurück. Auffällig ist dabei Ihre Entwicklung, was den Spielaufbau angeht. Wie beurteilen Sie diesen Prozess?
Ich profitiere davon, dass ich jeden Tag mit absoluten Weltklasseprofis trainieren darf. Und natürlich vom Torwarttraining mit Toni Tapalovic. Schon unter Pep Guardiola war es so, dass die Torhüter extrem gefordert waren im Spielaufbau. Pep Guardiola hat uns lange Bälle anfangs sogar verboten. Manuel Neuer ist auch was den Aufbau angeht der beste Keeper der Welt. Von ihm kann ich mir da natürlich einiges abschauen.
In Stuttgart galten Sie eher als der Mann mit den starken Reflexen, der im Spielaufbau aber gewisse Schwächen hat. Bei langen Bällen von Ihnen wurde im Stadion gerne mal gebruddelt auf der Haupttribüne.
Das hat damit zu tun, dass zu meiner Zeit beim VfB genau das eingefordert wurde von den Trainern: lange Bälle nach vorne, und dann nachrücken. Sie können sicher sein, dass man mir auch damals einen Ball hinspielen konnte und ich von hinten hätte aufbauen können. Nur war das damals eben so nicht gewünscht und vorgegeben. Das ist heute beim FC Bayern anders, und da muss man sich anpassen und dazulernen.
Sie sind seit dem Sommer 2015 in München. Damals gab es viele Kritiker, die sich fragten, warum Sie es sich antun, hinter Manuel Neuer auf Jahre hin die Nummer zwei zu sein. Jetzt sind Sie regelmäßig im Einsatz – und Ihr Vertrag läuft im Sommer aus. Wenn Neuer zurückkommt, sind Sie wieder die Nummer zwei. Wie sind Ihre Pläne: Vereinswechsel oder noch ein paar Jahre beim FC Bayern?
Wenn Manuel Neuer wieder gesund ist im neuen Jahr, wird es sicher schwierig, sich wieder auf die Bank zu setzen, das ist klar. Bisher gibt es aber definitiv keine Richtung. Ich kann mir vieles vorstellen. Es ist etwas ganz Besonders, beim FC Bayern München zu sein und in der täglichen Arbeit von den Weltklasseleuten um einen herum zu profitieren. Ich warte jetzt einfach mal ab.