Der Komiker Bastian Pastewka rekonstruiert einen Radiokrimi von Francis Durbridge aus dem Jahre 1949. Das geht nicht ohne komische Momente ab.

Stuttgart - Es gab einmal eine bessere Welt. Eine Welt, in der Verbrecher ihrer gerechten Strafe zugeführt wurden. Eine Welt ohne Bodensee-„Tatort“. Es war die Welt unserer Vorfahren. Eine Zeit, in der sich die Menschen vor ihren Radiogeräten versammelten, um in einem fünfstündigen Kriminalhörspiel von Francis Durbridge den Ermittlungen des Privatdetektivs Paul Temple zu folgen.

 

Frauen waren darin kieksende Dummerchen, die mit einem „Was ist nicht verstehe ist . . .  “ antworteten, wenn Temple nach unzähligen falschen Spuren und dem Tod eines halben Dutzend Verdächtiger in einem eleganten Londoner Salon in Gentleman-Manier die Mordfälle aufdröselte. Die enttarnten Bösewichte zogen womöglich noch ein letztes Mal eine Waffe, aber ein Knock-out-Schlag auf den Kopf stellte die Ordnung der Dinge wieder her. Der britische Schriftsteller schrieb in den Jahren 1938 bis 1968 insgesamt 29 Folgen der Reihe für die BBC.

1949 sendete der damalige NWDR, Vorläufer von WDR und NDR, die erste von elf deutschsprachigen Hörspielen-Adaptionen der Reihe: „Paul Temple und der Fall Gregory“. Darin jagt der Detektiv, von trotteligen Scotland-Yard-Beamten um Hilfe gebeten, einen Mädchenmörder in London, der am Tatort Visitenkarten als „Mister Gregory“ hinterlässt – weiß der Teufel warum! Die Folge bestand aus zehn Teilen, die jeweils mit einer überraschenden Wendung endeten, dem für Durbridge so typischen Cliffhanger. So kurz nach dem Ende des Krieges waren die Zeiten hart. Vielleicht brauchte man das Tonband für andere Zwecke, vielleicht war es Schlamperei, vielleicht galten Kriminalhörspiele als künstlerisch so anspruchslos, dass man sie nicht für die Nachwelt aufbewahren zu müssen meinte (ein Kritiker sprach pikiert vom „Abstottern von Räubergeschichten“) – jedenfalls ist die Aufnahme verschollen. Kein Sender hatte sie im Archiv. Selbst ein Suchaufruf an Durbridge-Fans nach privaten Aufzeichnungen brachte kein Ergebnis.

Fünfstündige Hörspiele gibt es heute nicht mehr

„Wie schade“, dachten sich der Schauspieler, Comedian und Durbridge-Fan Bastian Pastewka, der Hörspieldramaturg des Südwestrundfunks Holger Heddendorp und der Funk-Regisseur Leonhard Koppelmann. Und machten sich daran, das Stück zusammen mit Kollegen vom SWR und WDR zu rekonstruieren. Das war gar nicht so einfach, denn auch die BBC hatte ihre Aufnahme gelöscht. Lediglich eine norwegische Fassung war erhalten geblieben. Außerdem gab es noch das deutsche Manuskript – mit einer Lücke: Der Text für Teil acht fehlte. Zum Glück war Durbridge ein Meister der Vielfachverwertung. Er hatte den Fall nur leicht verändert zu einem Roman verarbeitet. So ließ sich zumindest die Handlung des fehlenden Teils rekonstruieren.

Wie Restauratoren eines historischen Gebäudes setzten Pastewka und die Radioleute das Hörspiel zusammen. Allerdings gibt es für fünfstündige Hörspiele bei der ARD heute keine Sendeplätze mehr. Deshalb entschieden sie sich für eine knapp zweistündige Kurzfassung. „Wir haben einfach aus der Unzahl von Nebenhandlungen und weiteren Verdächtigen ein paar herausgestrichen“, erzählt Heddendorp. Setting und Plot blieben erhalten.

Quietschende Autoreifen, knallende Türen

Gedacht war „Paul Temple und der Fall Gregory“ zunächst als Live-Performance von Pastewka und vier Schauspieler-Kollegen bei den ARD-Hörspieltagen 2013. Die fünf sprachen sämtliche Rollen. Zwischen den einzelnen Szenen erzählten sie ironisch und pointensicher vom Erfolg und von der Machart der Durbridge-Krimis. Diese zweite Ebene wurde durch einen zusätzlichen Clou ergänzt: Auf der Bühne (wie später auch bei der Aufnahme im Kölner Studio) machen die Schauspieler alle Geräusche selbst.

Man konnte also miterleben, mit welchen Requisiten in den vierziger Jahren die Illusion quietschender Autoreifen, knallender Türen und getippter Schreibmaschinen hergestellt wurde. Der Erfolg war so überwältigend, dass Pastewka und seine Kollegen mit dem Live-Hörspiel nun durch Deutschland touren. Aber auch die Radiofassung ist unterhaltsamer, als es die meisten „Tatort“-Folgen je sein werden.