Als Rocky und als Rambo hat er Filmgeschichte geschrieben: der Hollywood-Schauspieler Sylvester Stallone wird siebzig.

Stuttgart - Die Geschichte der Menschheit ist eine des Personalabbaus. Steter Fortschritt führt dazu, dass das Individuum produktiver wird. Wozu in Roms Untergangstagen noch Barbarenhorden nötig gewesen waren, zur Zerstörung einer Zivilisation, das schien in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts ein Mann alleine erledigen zu können: Sylvester Stallone. Nun ja, vielleicht nicht ganz alleine, sondern in einer Verdoppelung seines Ich: in den Rollen als Boxchampion Rocky Balboa und als Vietnam-Veteran John Rambo. Er verrohe die Massen, lege das Denken lahm, zerbrösele alle Werte und hetze zum Dritten Weltkrieg auf. So mahnte zumindest die deutsche Filmkritik.

 

Immer wieder haben Kritiker damals versucht, den so gar nicht um die Zuneigung der Gebildeten buhlenden Star aus Hollywood, der am 6. Juli vor siebzig Jahren in New York als Sohn eines Frisörs und einer Sterndeuterin geboren wurde, zu entzaubern, gründlich lächerlich zu machen. So höhnte ein Autor des „Spiegel“ im Februar 1986 zum Start des vierten Teils der Boxer-Saga: „Sylvester Stallone ist wirklich so dumm, wie er aussieht. Nach seinem ,Rambo II’ hat auch ,Rocky IV’ alle Qualitäten, zu Ronald Reagans Lieblingsfilm zu werden. Das Drehbuch scheint mit dem Boxhandschuh geschrieben, und Regie hat er offenbar mit zugeschwollenen Augen geführt.“

Gegen Stallone zog man also die Handschuhe aus, jeder Tiefschlag war erlaubt. Schließlich galt er kritischen Europäern als Propagandahelfer des konservativen US-Präsidenten Ronald Reagan, als Verkörperung von dessen Versprechungen auf neue Weltmachtstärke. An Sylvester Stallones siebzigstem Geburtstag kann man sich über die Aufgeregtheit von damals amüsieren. Rocky, Rambo und Stallone selbst sind längst Teil des Popkultur-Amüsierparks geworden, ihre aktuelle politische Zündfunkenkraft dürfte der von Erdnussbutter entsprechen. Aber nur mit Amüsement wird man Stallone nicht gerecht.

Aus seinem Handicap hat er ein Markenzeichen gemacht

Er wirke, als leider er an Gesichtslähmung, ist wohl so ziemlich das Fieseste, was man über einen Schauspieler schreiben kann. Stallone aber hat wirklich eine, lebenslang schon: die linke untere Gesichtshälfte ist taub, auch der Mund bewegt sich nicht mehr ganz mit. Aus dem Handicap aber hat Stallone ein Markenzeichen gemacht, einen Ausweis von Glaubhaftigkeit. Sein Nuscheln lässt ihn ungebildet und mitgenommen wirken, angeschlagen und spotterprobt. Man glaubt sofort, dass dieser Typ sich hat durchbeißen müssen, dass andere ihn oft vorführen wollten.

Ein Kerl wie er, gut durchtrainiert, aber mit Sprech- und Mienenspieldefizit, ist prädestiniert für die Pornoindustrie. Ganz am Anfang seiner Karriere, als sich keine Schauspielchancen auftun wollte, hat Stallone tatsächlich mal in einem Sexfilmchen mitgespielt. Aber so schnell wollte er seine Träume nicht aufgeben, er klopfte weiter an Türen, nahm alle Rollen an und schrieb sich schließlich selbst eine. Idee und Drehbuch zu „Rocky“ stammen von ihm. Als man ihm nur das Skript abkaufen, die Rolle aber jemand anderem geben wollte, blieb er stur und riskierte das Scheitern.

Schließlich waren die Produzenten bereit, den Film mit Stallone zu drehen. „Rocky“ wurde 1976 ein Megaknüller, und die lange Treppe vorm Philadelphia Museum of Arts, auf der sich der schon abgeschriebene Unterschichtboxer fit macht zum großen Kampf, heißt im amerikanischen Volksmund nun „Rocky Steps“. Auch wenn Stallone Multimillionär wurde, seine Fans haben immer gemerkt, dass er von unten kam. Der erste „Rocky“-Film, von John G. Avildsen inszeniert, ist keine rausch-optimistische Haudrauforgie, sondern ein über weite Strecken melancholisches Märchen, das Amerikas Proletariat zeigt, kleine Leute, denen keiner etwas schenkt.

Mit Komik hat er es auch probiert

Auch John Rambo, der traumatisierte Vietnam-Veteran, der erstmals 1982 in „First Blood“ auftrat, ist ein Verlierer, dem übel mitgespielt wird. Aber die kritischen Elemente des Films, die Frage, wie Amerika seinen Soldaten dankt, stehen unversöhnt neben groben Tiraden des Helden gegen Kriegsgegner und Protestierer, neben der unausgegorenen Kontrastierung von ehrlicher Waffenbrüderschaft hie und verlogener Zivilgesellschaft da. Aber Rambo tat eben auf der Leinwand, was ein Teil Amerikas von ihm erwartete. Er führte vor, dass der Krieg nicht im Feld verloren worden war, sondern in Washington, und dass die Amerikaner immer noch die härtesten Kerle der Welt waren. Für Stallones Karriere ist das typisch. Die Fans haben sich herausgesucht, wann sie ihn mochten und wann nicht. Er erlebte auch mit Action-Filmen mehr als einmal Flops. Die Fans waren unduldsamer mit ihm als mit Arnold Schwarzenegger, eben weil sie ihn als Sprachrohr ihrer Gedanken und Wünsche akzeptiert hatten.

Wie Schwarzenegger hat es auch Stallone mit Komik versucht, lange mit furchtbaren Ergebnissen. Das Publikum reagierte erst, als er 2010 sein Rambo-Image in der bis jetzt drei Filme umfassenden „Expendables“-Reihe in Nostalgie-Klamauk ummünzte. Nebenbei aber hat er in „Creed“ wieder eine berührende, lebensweise Variante des alten Rocky vorgeführt, eine seiner besten Leistungen. Er wünschte sich, wirklich Rocky zu sein, hat er einmal gesagt, bezog sich aber nicht auf dessen Schlagkraft. Ihn zieht anderes an: „Er sagt nie ein böses Wort über irgendjemanden, und er beklagt sich nie. Er hat viele Niederlagen hinter sich, nimmt sie aber philosophisch. Er weiß, es kommen wieder bessere Tage.“