„Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“: Khaled Khalifa hat dem syrischen Bürgerkrieg einen so großen wie erschütternden Roman abgerungen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Drei Tage lang reisen drei Geschwister durch das Land. Im Gepäck ihr toter Vater, der sich stündlich in einen immer schrecklicheren Aggregatzustand verwandelt. Das kennt man aus einem der besten Romane William Faulkners, „Als ich im Sterben lag“, wo die letzte Reise der toten Mutter zur Irrfahrt durch die Seelenwüste einer Familie wird. Der in Damaskus lebende syrische Autor Khaled Khalifa spiegelt in dem literarischen Vorbild die grauenhafte Realität eines Landes, in dem der Tod keine Emotionen mehr wachruft, außer den Neid der Lebenden. Während die internationale Gemeinschaft an Roadmaps bastelt, um ihre strategischen Interessen und Vorteile sicher ins Ziel zu bringen, schildert dieses literarische Roadmovie eine Fahrt durch die Hölle der Hoffnungslosigkeit.

 

Der Vater, der an den Aufstand gegen das Assad-Regime geglaubt hat, wollte in seinem Heimatdorf bestattet werden, das im Rebellengebiet liegt. Ausgerüstet mit einer Flasche Duftspray und vier Eisblöcken machen sich seine Kinder auf den Weg. Doch „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“, wie der Roman-Titel verheißt. Aus den Kühlhäusern quellen die Leichen, in den zerstörten Dörfern machen sich streunende Hunde über das her, was von ihnen übriggeblieben ist.

„Die Trostlosigkeit hält das Land im Griff.“ Alles ist kaputt, die Städte, die Beziehungen, die Träume: Vier Jahre nach dem Aufbruch des Arabischen Frühlings ist vom Idealismus nichts geblieben, außer namenloser Hass und gärende Rache, womit die Opfer des Regimes unzähligen Mord und Folter vergelten. Es triumphieren der Materialismus der Verwesung und der unerbittliche Stumpfsinn der Bürokratie: „Leben und Tod sind je ein Packen offizieller Dokumente“, bescheidet einer der Grenzwächter des wie in Höllenkreise zerteilten Landes.

Auflösung alles Menschlichen

Von Checkpoint zu Checkpoint ändern sich die Zuständigkeiten. Vom Regime rekrutierte Kriminelle, Sadisten, Salafisten und ausländische Warlords teilen das blutige Absurdistan unter sich auf. Einmal soll der Tote verhaftet werden, weil er auf der Fahndungsliste der Geheimdienste steht. Ein anderes Mal unterziehen religiöse Extremisten die Korankenntnisse der Geschwister einer Prüfung, während bereits Kolonien von Maden den vom Verfall gezeichneten Körper bevölkern.

Khaled Khalifa, dessen Bücher in seiner syrischen Heimat nicht erscheinen dürfen, führt vor Augen, dass ein Land, das die Häuser über den Köpfen seiner Bewohner zerbombt, niemandes Heimat mehr sein kann. Sein Roman ist eine Flaschenpost aus dem Reich der Finsternis. Sie enthält wesentlich mehr, als bloß den authentischen Kommentar zu den surrealen Bildern zerstörter Städte, die allabendlich über Fernsehbildschirme flimmern. Literarische Form und Stoff der Wirklichkeit verweisen aufeinander, wie dies der Fall ist, wo sich ein Werk über seinen Anlass erhebt. Denn die Auflösung alles Menschlichen, die Khalifa am Leib des Vaters in allen Stadien vorführt, ist zugleich eine Parabel auf die syrische Tragödie, in der alle Illusionen der Freiheit wie Eiterbeulen geplatzt sind.

Eine Zumutung, was sonst. Doch Zeitgenossenschaft kennt keine Grenzen. Und weder die Ohnmacht, noch die Empfindsamkeit des Betrachters sind Entschuldigungen, sich ihr nicht auszusetzen.