Lieber die Straßenseite wechseln, statt das Falsche zu sagen? Das sollte man nicht tun, rät der Ludwigsburger Seelsorger Michael Friedmann. Im Interview erzählt er, was beim Umgang mit trauernden Menschen helfen kann.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Wie reagiert man, wenn Freunde oder Bekannte einen lieben Menschen verloren haben? Was soll man sagen, schreiben, signalisieren, ohne in der Angst zu erstarren, etwas falsch zu machen? Ein Gespräch mit dem Trauerbegleiter Michael Friedmann darüber, warum sich viele so schwer tun – und was man beherzigen kann.

 

Herr Friedmann, ist der Gesellschaft ein natürliches Gespür die richtigen Worte und Reaktionen im Umgang mit Menschen in Trauer abhanden gekommen, oder gab es das ohnehin noch nie?

Früher gab es zumindest gewisse von der Gesellschaft und Kirche geprägte Formen und Normen, von der Kondolenzkarte über das Tragen von schwarzer Kleidung bis hin zum gemeinsamen Liedgut, die manchmal vielleicht hilfreich waren. Uns geht da eine kulturelle Gemeinsamkeit verloren. Das halten wir nicht auf, wir sollten es aber in unserem Umgang mit Tod und Trauer bedenken. Ich persönlich bin oft froh, dass diese starren Normen nicht mehr dominieren, dass keine Institution vorgibt, wie man es richtig zu machen hat, und dass der Umgang mit dem Thema mittlerweile freier ist. Weil aber die Erwartungshaltungen heute auch andere sind und viel Unsicherheit herrscht, machen wir nicht nur Angebote für Menschen in Trauer. Wir verstehen es auch als unseren gesellschaftlichen Auftrag, ihrem Umfeld zu helfen.

Michael Friedmann ist Seelsorger und Trauerbegleiter in Ludwigsburg. Foto: privat

Einen Abend über die richtigen Worte beim Schreiben zur Kondolenzkarte gab es schon. Was sollte man vermeiden?

Es gibt keine Patentrezepte und keine klare Knigge-Struktur. Es gibt aber genügend vermeintliche Ermutigungssprüche, die einem Trauernden wenig weiterhelfen. „Kopf hoch“, „Das Leben geht weiter“, „Du bist noch jung, du kannst noch viele Kinder kriegen“: Das ist vielleicht gut gemeint, als Strohhalm. Und einen Strohhalm zu reichen ist ja auch für uns Außenstehende leichter, als mit dem Trauernden ins dunkle Loch zu schauen. Aber das macht es für den Trauernden nicht leichter. Auch Aussagen wie: „Wer weiß, was ihm oder ihr erspart geblieben ist“, was man zum Beispiel manchmal über kurz vor der Corona-Zeit verstorbene älteren Menschen gehört hat, sind nicht hilfreich. Das mag man vielleicht als Trauernder in manchem Moment für sich selbst denken. Aber es ist etwas anderes, wenn einem das eine andere Person sagt.

Haben Sie ein Beispiel, was noch gut gemeint ist, aber nicht gut ankommt?

In unserem Abend zum Thema Kondolieren hatten wir exemplarisch eine Trauerkarte von einer Bank. Eigentlich eine gute Geste, wenn die Hausbank kondoliert. Aber mit vorgedrucktem Text und dem Stempel der Bank darauf wirkte es auf die Hinterbliebenen fast wie ein Formular und sehr unpersönlich.

Wie kondoliert man gut?

Wertvoll ist es, wenn man in Trauerpost Erinnerungen einbringt. Wie hat die Freundin die Mama kennengelernt? Wie haben Arbeitskollegen den Ehemann am Arbeitsplatz erlebt? Wenn Trauernde neben all der Anteilnahme mit solchen persönlichen Geschichten beschenkt werden, auch wenn sie dem Schreiber vielleicht als Nichtigkeiten vorkommen, machen sie die Kondolenzpost zu etwas Persönlichen, Besonderem und Tröstendem. Und wenn einem die Worte fehlen, kann man auch schreiben, dass einem die Worte fehlen. Dass man aber in Gedanken bei dem Trauernden ist. Das ist vielleicht besser, als „Mein Beileid“ zu schreiben und einen Zwanziger dazuzulegen.

Die kommende Veranstaltung widmet sich der ersten Begegnung mit trauernden Menschen. Auch dabei hat man oft Manschetten, was man da am besten sagen soll.

Dann sollte man lieber mit einer gewissen Unsicherheit in ein Gespräch gehen, als die Straßenseite zu wechseln oder bei der zufälligen Begegnung beim Einkaufen überhaupt nichts zu sagen. Lieber geht man einen halben Schritt auf den Trauernden zu als zwei Schritte zurück aus Angst, etwas falsch zu machen. Sonst hat der Trauernde das Gefühl, er habe nicht nur eine liebe Person verloren, sondern auch noch sein Umfeld. Man kann zum Beispiel praktische Angebote machen, von denen man weiß, dass man sie auch einhalten kann: ein Mittagessen kochen, die Reifen wechseln, ein gemeinsamer Spaziergang oder ähnliches. Man sollte sich auch nicht enttäuscht zurückziehen, falls eine Absage kommt. Das ist meist nicht persönlich gemeint, das sollte man nicht auf die Goldwaage legen, sondern nachsichtig sein und sich fragen, was der gute Grund gewesen sein könnte. Es ist trotzdem wichtig zu signalisieren, dass man für den anderen da ist, falls er einen braucht. Manchmal denke ich, die Trauernden selbst holen sich oft ganz gut Hilfe, aber das Umfeld tut sich so enorm schwer, das bräuchte ebenso viel Unterstützung. Aus diesem Grund machen wir das Angebot ja.

Wenn der Trauerfall eine Weile zurückliegt: Woher weiß man, ob man das Thema noch ansprechen soll?

Gerade an Weihnachten, Geburts- oder Todestagen denken viele im Umfeld, wenn ich es nicht zum Thema mache, mache ich weniger falsch. Aber man kann es, wenn man es nicht anspricht, nie falscher machen, als wenn man achtsam anklopft. Ich höre von Trauernden oft, wie gut es ihnen tut, wenn jemand den ersten Schritt auf sie zu macht. Man sollte, eher mit Fragezeichen und ohne Erwartungen, den Gesprächsraum öffnen: Magst du mir erzählen, was Dich gerade bewegt? Wenn der Trauernde es nicht möchte, wird er es signalisieren. Warum nicht, wenn es dem Angehörigen gut tut, das Glas auf den Verstorbenen heben, in kleiner Runde fragen, woran man im Zusammenhang mit ihm jetzt denkt, und darüber reden, wie schön es wäre, wenn er es jetzt miterleben könnte? So wird gewürdigt und benannt, was ist. Und vielen fällt vermutlich ein Stein vom Herzen, der befreit und uns wertvoll mit dem Verstorbenen und den Trauernden verbindet.

Beistand in dunklen Stunden

Der Gesprächspartner
Michael Friedmann, 48, ist Seelsorger und Trauerbegleiter. Seit 2013 leitet er mit Diplom-Psychologin Johanna Schwarz die Abende „Du fehlst mir!“ für junge Erwachsene, die trauern. Sie bieten auch jährlich ein Trauerwochenende an, für das sie den Innovationspreis der Jugendstiftung just bekamen. „Das hilft mir!“ ist ein Angebot der Katholischen Erwachsenenbildung Kreis Ludwigsburg und der Fachstelle Trauerpastoral im Dekanat Ludwigsburg. Hauptberuflich arbeitet Friedmann bei der Ökumenischen Hospizinitiative.

Die Abende
Am Dienstag, 14. März, geht es um das Thema „Das hilft mir: Bei der ersten Begegnung mit trauernden Menschen“, am Dienstag, 18. April, darum, mit Trauernden im Gespräch zu bleiben. Beginn ist je um 18 Uhr im Haus Edith Stein, Parkstraße 34, in Ludwigsburg-Hoheneck. Info und Anmeldung unter info@keb-ludwigsburg.de oder Telefon 0 71 41 / 252 07 20.