Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) geht am Tag des Artenschutzes am Sonntag selbstkritisch mit der Regierung ins Gericht: Im Südwesten werde zwar viel getan, aber bei Weitem nicht genug. Vor allem im Offenland sei die Lage alarmierend.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Lob und Kritik in einem Atemzug: Diesen Spagat schafft Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) leicht. Zum Tag des Artenschutzes am Sonntag sagt der Minister: „Wir stehen in Baden-Württemberg konzeptionell gut da. Das Artensterben werden wir aber nicht stoppen, wenn wir weitermachen wie bisher.“

 

Tatsächlich hat sich im Südwesten zuletzt einiges im Naturschutz getan. Die Landesmittel wurden seit 2011 mehr als verdoppelt auf derzeit rund 60 Millionen Euro jährlich, gerade in den unteren Naturschutzbehörden – dazu gehören die Landratsämter – wurden zahlreiche neue Stellen geschaffen. Und derzeit läuft ein bundesweit einzigartiges Sonderprogramm, an dem sich Umwelt-, Agrar- und Verkehrsministerium beteiligen. Es ist ausgestattet mit 36 Millionen Euro bis Ende 2019 und hervorgegangen aus dem Erschrecken über das Insektensterben, das Ende 2017 heiß diskutiert worden war. Demnächst soll ein Zwischenbericht dazu kommen.

Allein im Umweltministerium wurden damit 1330 zusätzliche Projekte initiiert – Moore werden saniert, Wacholderheiden miteinander verbunden, Wiesen nicht mehr gedüngt. Daneben fördert Agrarminister Peter Hauk (CDU) über dieses und andere Projekte auch den Naturschutz. So können Bauern jetzt Geld für sieben statt fünf Hektar Blühstreifen erhalten. Ein Erfolg sei auch, dass heute im Südwesten auf 24 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen auf Pestizide verzichtet werde. Nicht ohne Grund haben die Bayern bei ihrem Bürgerbegehren oft auf Baden-Württemberg verwiesen.

Viele Studien dokumentieren den dramatischen Rückgang

Und trotzdem – all das reiche nicht aus, um das Artensterben zu stoppen, stellt Untersteller klar: „Wir sind auf dem besten Weg, die Katastrophe eines stummen Frühlings zu verwirklichen.“ Nur in Schutzgebieten etwas zu tun, sei zu wenig. Vielmehr müsse man überall, vor allem im Offenland, sprich auf den Wiesen und Äckern, aktiv werden gegen das Verschwinden von Heuschrecken, Kiebitzen und Rebhühnern. Alle Naturschutzgebiete zusammen umfassen im Südwesten 2,4 Prozent; die landwirtschaftliche Fläche liegt bei 45 Prozent.

Neue Studien stützen diese Aussage. So gehört zum baden-württembergischen Sonderprogramm ein Monitoring: Ein erstes Schlaglicht der Landesanstalt für Umwelt hat gezeigt, dass in dem Schutzgebiet Ruchberg auf der Schwäbischen Alb sieben Mal mehr Falter gefunden wurden als auf den angrenzenden strukturarmen Ackerflächen. Eine Europa-Studie weist nach, dass seit 1980 rund 57 Prozent aller Feldvögel verschwunden sind; im Wald beträgt der Rückgang der Vogelarten nur sechs Prozent. Eine aktuelle Analyse des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung hat ergeben, dass der Artenschwund in Natura-2000-Gebieten, ein Netz aus EU-Schutzgebieten mit besonderen Richtlinien, zwar weniger stark ist als im Offenland; eine Trendwende sei aber nirgendwo zu erkennen. Das Bundesamt für Naturschutz sieht den Zustand der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft als alarmierend an und betont, dass die EU- und die nationale Agrarpolitik „keinen substanziellen Beitrag leisten, um dem anhaltenden Verlust der biologischen Vielfalt wirksam entgegenzutreten.“ Der 2013 vereinbarte nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur „nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ wird von Naturschützern als grünes Feigenblatt abgelehnt.

Offener Disput zwischen Ministern der Landesregierung

Die meisten Experten sehen zwei Hauptursachen für den Artenrückgang auf den Offenflächen: Die Landschaft sei ausgeräumt, es existierten wenig Tümpel, Sträucher oder Hecken, in denen etwa Vögel nisten können. Insekten fänden immer seltener die speziellen Pflanzen, die sie zum Leben benötigen; viele würden auch durch Pflanzenschutzmittel sterben.

Hier gelte es anzusetzen, sagt Minister Untersteller. Sein Ministerium sei gefordert, Biotope stärker zu vernetzen und Landwirte dafür auch zu entschädigen. Das Agrarministerium sei aber gefordert, noch mehr Anreize zu schaffen, damit die Landwirte mehr für die Vielfalt der Landschaft tun könnten. Teil des Sonderprogramms der Landesregierung war im Übrigen auch eine Strategie zur Reduzierung der Pflanzenschutzmittel – diese Strategie liegt bis heute aber nicht vor. „Ich habe da schon Erwartungen“, formuliert Untersteller in Richtung seines CDU-Ministerkollegen Hauk. Der Dissens innerhalb der Koalition über die richtigen Maßnahmen ist gewaltig.

Hauptaufgabe der Bauern ist es, Lebensmittel herzustellen

Der Entwurf komme demnächst in das Kabinett und werde „viele gute Punkte enthalten“, sagt dagegen Agrarminister Peter Hauk – auch Zahlen, wie viele Pflanzenschutzmittel im Südwesten ausgebracht werden, würden genannt. Eine solche Statistik wird schon lange etwa vom Nabu eingefordert. Grundsätzlich, so Hauk, habe der Umweltminister wohl sogar recht damit, dass auch in Baden-Württemberg nicht genügend gegen das Artensterben getan werde; aber dann müsse eben auch deutlich mehr Geld dafür bewilligt werden. Wie Untersteller will Hauk das Sonderprogramm unbedingt fortführen.

Der Agrarminister betont daneben, dass bundesweite Studien nicht die Situation im Südwesten widerspiegelten: Hier sei die Landschaft noch viel besser strukturiert als anderswo. Aus diesem Grund sei ein eigenes Monitoring so wichtig. Pestizide hält Hauk für unumgänglich, aber es müsse mehr in Forschung und Technik investiert werden, um die Menge zu reduzieren. Ein Beispiel seien Nützlinge: Schon jetzt würden 30 000 Hektar Maisfelder mittels Drohnen mit Larven von Schlupfwespen bestreut – sie fressen den Maiszünsler.

Bei einer CDU-Veranstaltung in Horb äußerte Hauk aber auch Zweifel an manchen Zielen von Naturschützern. Es gebe Hinweise, dass extensiv bewirtschaftete Wiesen und bewirtschaftete Wälder artenreicher seien als Brachland und Bannwälder. In seiner Rede in Horb spitzte er das zu: Die Krefelder Studie zum Insektensterben 2017 habe gezeigt, dass es mehr Insekten gebe, „je näher man an landwirtschaftlich bewirtschaftete Flächen kommt. „Deshalb prophezeie ich heute: Der Nationalpark wird bei der Artenvielfalt verarmen.“

Landwirte im Südwesten

In Baden-Württemberg gibt es noch knapp 40 000 Höfe mit durchschnittlich 36 Hektar Fläche; im Bundesschnitt sind es 60 Hektar. Die Struktur im Südwesten ist also kleinteiliger als etwa im Osten Deutschlands.

Im Wirtschaftsjahr 2017/18 habe ein Hof im Schnitt 36 320 Euro verdient – das sei Schlusslicht im Bund, sagte Joachim Rukwied, der Landesbauernpräsident.

Im vergangenen Jahr haben die Bauernverbände eine Ackerbaustrategie veröffentlicht. Sie bekennen sich dazu, die Risiken der Pestizide weiter zu reduzieren.