Küsse können politisch sein, Beziehungen besiegeln oder lebensgefährlich werden. Fünf Dinge,die Sie zum Tag des Kusses am Samstag wissen sollten.

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Stuttgart - Etwa 140 Muskeln arbeiten, das Bindungshormon Oxytocin wird ausgeschüttet, Millionen von Viren sind beteiligt, und trotzdem mögen es fast alle: einander zu küssen. Küssen ist unsere intimste Art, um Liebe auszudrücken. Aber Küsse bedeuten nicht nur Liebe, sie können auch Verrat bedeuten oder jemanden auf die Todesliste zu setzen. Ein Überblick zum Tag des Kusses.

 

1. Geschichte und Biologie

Beschnuppern oder füttern: Es gibt verschiedene Theorien, wo der Kuss herkommt. Die Vorfahren der Menschen hätten sich, wie viele heutige Säugetiere auch, am Hintern beschnüffelt und beleckt, um den passenden Sexualpartner zu finden. „Als aus den Vierbeinern Zweibeiner wurden, wanderte der Kuss gewissermaßen nach oben“, sagte die Sexualwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld in einem Interview. Küssen ist demnach immer noch ein Abtasten und Beriechen.

Für Peter Walschburger ist eine andere Version verhaltensbiologisch am besten begründet: „Als man Essen noch nicht vorkochen konnte, haben Frühmenschen als Eltern – wie andere Säugetiere – die Nahrung vorgekaut und von Mund zu Mund weitergegeben, so, wie man es in der Tierwelt noch heute beobachten kann“, sagt der im Schwarzwald aufgewachsene Biopsychologe. Diese Fürsorgegeste sei ritualisiert also in den Kontext der zwischenmenschlichen Kommunikation übertragen worden. So wurde ein ursprünglicher Akt fürsorglicher Fütterung zur Liebesgeste und zu einem sinnlich verkörperten innigen Begrüßungsakt. Aber was passiert beim Küssen?

Wenn eine Mutter ein Neugeborenes küsse, werde das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet und ein haltbares leibseelisches Band, das Urvertrauen, geschaffen, sagt Walschburger, und „das Kind wird auf die Mutter geprägt“. Ähnliches könne beim ersten leidenschaftlichen Kuss eines Paares passieren, er schaffe tiefes Vertrauen – als gute Anfangsbedingung für eine lange, glückliche Beziehung.

2. Politik und Geschäft

Aber nicht allen Küssen liegt eine Leidenschaft zugrunde. In der ausgehenden Antike besiegelten Geschäftspartner mit einem offiziellen Kuss einen Vertrag. Im Mittelalter wurde die Abhängigkeit zwischen Lehensherrn und Untergebenem per Kuss bestätigt. Das hat mit der Fürsorge oder dem Beschnuppern nichts mehr zu tun. Ähnlich ist es beim Bruderkuss.

Berühmt wurde der Bruderkuss auf den Mund zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker 1979 im damaligen Ost-Berlin. Heute ist eine Street-Art-Abbildung des Kusses eine der Hauptattraktionen an der Berliner East Side Gallery – tatsächlich war dieser Kuss im damaligen Ostblock durchaus üblich, um die Verbundenheit des sozialistischen Lagers zu demonstrieren. Auch der spätere Staatschef Michail Gorbatschow küsste fleißig, der russische Ex-Präsident Boris Jelzin nahm das Ritual mit in die postsowjetische Zeit und küsste 1999 Nelson Mandela.

3. Religion und Tod

Küsse können auch den Tod bedeuten. Der Jünger Judas soll Jesus geküsst und damit römischen Soldaten ein vorher vereinbartes Erkennungszeichen gegeben haben – ein Kuss als Verrat. Deswegen wird heute mit dem Judaskuss eine geheuchelte Geste bezeichnet, hinter der sich eine böse Absicht verbirgt. Ähnlich ist der Todeskuss aus Mafiakreisen, wie man ihn aus dem Film „Der Pate“ kennt. Der Pate nimmt dabei den Kopf eines Clan-Mitglieds, küsst ihn auf Mund oder Wange und macht damit klar: Du wirst getötet.

In einem Punkt ähnelt der Todeskuss laut dem Biopsychologen Walschburger dem Liebeskuss. Denn: „Man geht auf jemanden zu, küsst ihn wie zu guten Zeiten und gibt zu verstehen, ‚ich bin dein Mörder‘ – das ist etwas sehr Intimes“, sagt Walschburger. Eine Hassbeziehung folge auch oft auf ein sehr enges Verhältnis.

4. Liebe und Romantik

Meist küsst man heutzutage aus Zuneigung – rund um den Globus. Das war aber nicht immer so, zumindest der mit Liebe und Sex verbundene Kuss dürfte eine europäische Erfindung sein. Ein französischer Ethnologe schrieb Ende 1897, die Chinesen empfänden den Kuss der Europäer als eine ekelhafte Spielart des Kannibalismus. Die Völker der Inuit aus Grönland und der Maori aus Neuseeland reiben lieber ihre Wangen aneinander oder beschnuppern sich an der Wange. Dieser Schnüffel- und Nasenkuss war Anfang des 20. Jahrhunderts noch weiter verbreitet, als der Mundkuss, glauben manche Wissenschaftler.

Für Aufregung können Küsse auch heute noch sorgen. „Es gibt Kulturen, die emotional so reduziert sind, dass Küssen verpönt ist“, sagt Walschburger. In Saudi-Arabien ist Küssen in der Öffentlichkeit verboten, in der indonesischen Provinz Aceh dürfen Unverheiratete nicht schmusen.

5. Homosexualität und Öffentlichkeit

Ein öffentlicher Kuss stört in Deutschland niemanden mehr – außer ein Mann küsst einen anderen Mann. Eine Studie der Uni Leipzig fand 2016 heraus, dass 40 Prozent der Deutschen öffentliche Küsse unter Männern ekelhaft finden. Zurzeit wird laut der TV-Aufklärerin Ann-Marlene Henning gleichgeschlechtliches Knutschen für Jugendliche normal. „Damit spielen sie, sie legen sich nicht fest.“ Auch wenn die Experimentierfreude dann vorbei sein mag: Forscher Peter Walschburger empfiehlt älteren Paaren, sich regelmäßig zu küssen: „Auch wenn die Leidenschaft abgeklungen ist, ist der Kuss stärker beziehungsstiftend, als eine rein verbale Begrüßung.“ Und auch der Gesundheit tut es gut: Küssen stärkt das Immunsystem und baut Stress ab, fanden US-Forscher 2017 heraus.