Der 11. Februar ist der europäische Tag des Notrufs. Doch wo kommt man eigentlich raus, wenn man auf den Fildern die 112 wählt? Unterwegs mit denen, die mit Blaulicht losdüsen, wenn ein Anruf eingeht.

Filder - Kurz nach 7 Uhr, in der Rettungswache in Bonlanden duftet es nach Kaffee. Die Schicht ist noch keine zehn Minuten alt, als plötzlich das kleine Gerät am Hosenbund von Peter Zappe Alarm schlägt. „Jetzt geht’s gleich richtig los“, sagt er und entziffert im Laufen, was das Einsatzteam gleich zu Beginn der Zwölf-Stunden-Schicht erwartet: „Ein Herzinfarkt am Flughafen.“ Der Rettungswachenleiter Zappe ist seit 36 Jahren hauptamtlich als Rettungsassistent auf den Fildern unterwegs. Mit Blaulicht und Martinshorn bahnt sich der Rettungswagen an diesem Morgen seinen Weg über rote Ampeln – ein Leben ist in Gefahr.

 

Die Schlagzeilen über die Behinderung von Einsatzkräften bestätigen sich bereits nach wenigen Minuten: Ein Auto fährt partout nicht zur Seite, ein Lastwagen will schnell noch durch, bevor der Rettungswagen zum Überholen ansetzt. Am Steuer sitzt der 34-jährige Rettungssanitäter Jan Valic; hoch konzentriert hat er den gesamten Verkehr im Blick und muss dabei immer wieder den Kopf schütteln: „Diese zunehmende Ich-Mentalität ist wirklich erschreckend.“

Auf dem Boden des Restaurants am Abflug-Gate des Flughafens kniet der Notarzt neben einem Mann. Auf seiner Brust kleben EKG-Elektroden, das Gesicht ist blass, sein Blick ängstlich. „Durch den heftigen Druck oder starke Schmerzen im Brustbereich empfinden Herzinfarkt-Patienten fast immer Todesangst“, erklärt Peter Zappe später. Eigentlich wollte das Ehepaar in die Sonne fliegen. „Jetzt geht es halt ins Krankenhaus“, sagt die Ehefrau des Patienten, sie wirkt relativ ruhig.

Jetzt geht es um etwas, sagt der Arzt

Im Herzkatheter-Labor im Krankenhaus in Ruit wird klar, dass es sein dritter Infarkt ist. Auf die Frage, wie es dem Patienten geht, stellt der diensthabende Oberarzt klar: „Schlecht. Hier geht es jetzt um etwas.“ Während er das sagt, legt er seinen Bleikittel an und beginnt Sekunden später mit dem Eingriff mit lokaler Betäubung an der Leiste. Hinter der Glasscheibe blinken die Monitore, auf einem bewegt sich der Herzrhythmus, auf dem anderen sieht man, wie immer wieder Kontrastmittel gespritzt wird, um mithilfe eines Katheters zu der verstopften Stelle im Herzkranzgefäß zu gelangen. „Alles was hinter dem Gefäßverschluss liegt, wird nicht mehr mit Blut versorgt, daher war es wichtig, dass wir so schnell wie möglich hier waren“, erklärt Peter Zappe.

Den 57-Jährigen hat seine Leidenschaft für die Erste Hilfe bereits bei seinem ersten Kurs in der 8. Klasse gepackt. Wenige Monate später begann der gelernte Fensterbauer ehrenamtlich für das Deutsche Rote Kreuz zu arbeiten. 1983 hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. „Ich bin gern draußen und nahe am Patienten“, sagt er. Eine behutsame Berührung am Arm, beruhigende Worte und immer ein warmes Lächeln – er lebt in seinem Alltag, was er mit diesem Satz meint. „Für uns ist das der Arbeitsalltag, für die Patienten ist es ein Einschnitt in ihr Leben, da ist es wichtig, so viel Geborgenheit zu geben wie möglich.“ Sein jüngerer Kollege lächelt: „Peter ist mein Vorbild, ich bewundere, wie er sich diese Menschlichkeit über all die Jahre bewahrt hat“, sagt Jan Valic.

Denn der Beruf bringt auch Schattenseiten mit sich, wie zum Beispiel die derzeit höchst angespannte Personalsituation und der deshalb dringende Wunsch nach mehr Kollegen. Zudem wird man immer wieder mit schwerem Leid und dem Tod konfrontiert. „Wenn jemand stirbt, kann ich zwar relativ gut damit umgehen. Bedrückender ist aber manchmal die verständliche Reaktion der Angehörigen“, sagt Jan Valic.

Der Auslöser für den Umstieg war sein MS-kranker Bruder

Auch der 34-jährige Valic ist als gelernter Industriekaufmann ein Quereinsteiger. Der Auslöser für ihn sei ein schlimmer Krampfanfall seines an Multipler Sklerose erkrankten Bruders gewesen, berichtet er. „Da wusste ich: Ich will mich engagieren.“ Es folgten fünf Jahre im Ehrenamt, in denen er sich neben der Arbeit drei Monate lang jeweils am Wochenende zum Rettungshelfer und in weiteren 160 Stunden zum Rettungssanitäter ausbilden ließ. Seit 2017 macht auch Jan Valic den Job hauptberuflich.

Zurück auf der Rettungswache reicht es für zwei Schluck Kaffee, dann geht der nächste Alarm ein: „Gestürztes Kind.“ Es geht nach Steinenbronn, der Rettungswagen aus Bonlanden muss Kollegen aushelfen: Das Böblinger Einsatzfahrzeug steht mit Getriebeschaden auf der Landesstraße, alle anderen Lebensretter sind im Einsatz. Das Kind heißt Pascal, ist fünf Jahre alt und im Kindergarten auf den Unterarm gefallen. „Normalerweise mag er keine Ärzte. Doch da er freiwillig ins Krankenhaus wollte, wusste ich, es ist ernst“, sagt seine Mama Alina. Etwas benommen von den Schmerz- und Beruhigungsmedikamenten wirkt die Fahrt ins Krankenhaus nach Sindelfingen für den Fünfjährigen wie ein kurioses Abenteuer: „Mama, wie schaffst du es, dass du vier Augen und zwei Nasen hast?“, fragt der Kleine. Wieder lachen kann er in der Notaufnahme, als ihm der Rettungssanitäter Jan Valic einen aufgeblasenen Handschuh mit einem aufgemaltem Gesicht überreicht.

Der Ratschlag ist mehr als nur nett gemeint

Der dritte Einsatz an diesem Vormittag führt das Duo Zappe und Valic nach Bempflingen: Eine schwangere Frau liegt bewusstlos in ihrer Wohnung, die Diagnose: Hypoglykämie. Sie hat seit Jahren Diabetes und war stark unterzuckert. Einige Glukose-Infusionen später, wünscht ihr der Notarzt in der Notaufnahme der Filderklinik alles Gute und schärft ihr ein: „Bitte passen Sie besser auf, Ihrem Baby zuliebe.“ Der Ratschlag ist mehr als nur nett gemeint. Eine Studie belege, dass die Menschen kurz nach einem Notfall empfänglicher seien für diese Tipps.

Noch vor dem letzten Bissen beim Mittagessen werden Peter Zappe und Jan Valic in ein Echterdinger Parkhaus gerufen: Eine Frau hat sich schwer am Knie verletzt, sie fahren die Patientin ins Krankenhaus. Kurz nachdem sie ihre wöchentliche Routinedesinfektion abschließen, geht noch ein weiterer Alarm ein: In Bernhausen wurde eine Fußgängerin angefahren, auch sie wird von den Sanitätern versorgt und ins Hospital gebracht.

Fast zwölf Stunden, nachdem ihre Schicht mit einem Herzinfarkt begonnen hatte, füllen die beiden Sanitäter den Rettungswagen wieder mit dem nötigen Material auf. Die Uhr zeigt 19 Uhr. Zeit für den wohlverdienten Feierabend.