In der Talkshow von Anne Will wird heftig darüber gestritten, ob CDU-Chef Friedrich Merz eine rechte Diktion aufgreife, wenn er über Flüchtlinge redet. Und natürlich ist die Landtagswahl in Niedersachsen ein Thema.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Es war fast eine kleine Elefantenrunde, die sich am Abend der Niedersachsenwahl (9. Oktober 2022) bei Anne Will zusammengefunden hatte – Berliner Politiker der SPD, Grünen und CDU bewerteten die Ergebnisse, flankiert wurden sie von der Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach und dem Welt-Journalisten Robin Alexander.

 

Dafür, dass die CDU in Niedersachsen kräftig verloren hat, war Jens Spahn (CDU) in der Talkshow ziemlich angriffslustig. Er warf der Regierungskoalition in Berlin vor, seit Monaten nichts zu entscheiden, und dass die Koalition ein desolates Bild abgebe: „Dass die AfD gewonnen hat, hat auch damit zu tun, dass Christian Lindner und Robert Habeck jeden Tag miteinander streiten“, sagte Spahn.

Umgekehrt bekam Spahn in der Sendung kräftig sein Fett weg, weil der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Wahlkampf in Niedersachsen auf Populismus gesetzt habe, wetterte etwa die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Merz hatte nicht nur vom „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge gesprochen, sich dafür später aber entschuldigt – die hohen Sozialleistungen in Deutschland zögen viele Flüchtlinge erst richtig an, so der Tenor weiterer Aussagen von Merz.

Grünen-Vorsitzende: Populismus in der CDU hat Methode

Lang betonte deshalb, dass die Entschuldigung von Merz nichts wert gewesen sei. Die Aussage sei wissenschaftlich widerlegt, dass ukrainische Flüchtlinge in hohem Maße Sozialbetrug begingen. Vielmehr habe der Populismus in der CDU mittlerweile Methode; sie habe riesige Sorgen, dass die CDU rechte Narrative übernehme. Auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil warf der CDU Absicht vor: „Wenn Merz das vor der Wahl macht, dann weiß man doch, worum es geht.“ Die CDU habe mit populistischen Parolen in Niedersachsen Stimmen gewinnen wollen. Das habe aber nicht verfangen.

Jens Spahn konterte allerdings. Es habe doch seine Gründe, dass die meisten Flüchtlinge nach Deutschland kämen und nicht in andere Länder. Es liege daran, dass alle vom ersten Tag an Anspruch auf Leistungen hätten. „Das macht etwas mit unserem Land“, so Spahn. Die Aussagen von Friedrich Merz seien deshalb in der Sache weiter zutreffend. Julia Reuschenbach war allerdings auch der Ansicht, dass die Diktion von Friedrich Merz den Rechten zuarbeite – und Merz habe so viel Erfahrung als Politiker, dass dies kein Versehen gewesen sein könne. Robin Alexander unterstützte dagegen Jens Spahn: Die soziale Attraktivität Deutschlands für Flüchtlinge gebe es tatsächlich.

Will befeuert mit Umfragewerten schlechtes Ansehen der Regierung

Inwieweit die Arbeit der Berliner Koalition das Ergebnis in Niedersachsen beeinflusst hat, darüber gab es erwartungsgemäß unterschiedliche Ansichten. Robin Alexander sieht schon einen großen Einfluss. Die Ampel in Berlin sei in schwerem Wasser, viele Bürger seien frustriert. Das Neue und Besorgniserregende sei allerdings, dass die Wähler nicht zur CDU gegangen seien, sondern zur AfD – neben den Grünen konnte nur die AfD in Niedersachsen zulegen.

Anne Will befeuerte immer wieder mit Umfragewerten das schlechte Ansehen der Regierung. Nur 42 Prozent der Befragten in Niedersachsen seien der Meinung, Robert Habeck sei seinem Amt gewachsen, so Will. Auch Olaf Scholz erhält mit 44 Prozent ein kaum besseres Ergebnis. Tatsächlich räumte Ricarda Lang ein, dass nicht noch mehr Streit passieren sollte in der Koalition, und dass Entscheidungen, wie jetzt zum Gaspreisdeckel, schneller gehen sollten: „Die Regierung gibt nicht gerade ihr bestes Bild ab.“

Braucht Deutschland eine „neue Fehlertoleranz“?

Auch die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach war der Ansicht, dass die Regierung ein schwieriges Bild abgebe. Vor allem die FDP sei in einer inneren Opposition, was die Niedersachsenwahl beeinflusst haben könnte. Die Ampel sei aber „kein totaler Ausrutscher“. Unterm Strich brauche man aber eine „neue Fehlertoleranz“, denn in dieser Krisenzeit sei es kaum möglich, keine Fehler zu machen. Das habe ja auch die Coronazeit gezeigt.

Auch Lars Klingbeil verwies auf die Vielzahl der Krisen, mit denen die Regierung derzeit zu kämpfen habe. Daran wolle die Koalition letztlich gemessen werden: wie gut Deutschland durch diese Krisen komme. Jens Spahn sah dagegen ein großes Bröckeln der Versprechen der Koalition: Kanzler Olaf Scholz habe vor der Bundestagswahl eine große Solidarität und Respekt versprochen – doch den Bürgern gehe es nicht gut, und auch die Wirtschaft gerate in schweres Fahrwasser.