Der Tarifabschluss im baden-württembergischen Einzelhandel bringt fast allen Beschäftigten einen Zuwachs ihrer Realeinkommen. Wesentliche Probleme der Branche sieht die Gewerkschaft damit aber nicht gelöst.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Eine Überraschung war es nach den Vorlagen aus drei Tarifgebieten nicht mehr: Am Montag haben auch die Tarifpartner des Einzelhandels in Baden-Württemberg den Tarifabschluss festgezurrt. Er ist identisch mit dem Pilotergebnis in Nordrhein-Westfalen.

 

Demnach erhalten die 490 000 Einzelhandelsbeschäftigten im Land zum 1. Juni drei Prozent höhere Gehälter, sofern sie nicht über dem Verkäufereckgehalt von derzeit 2579 Euro (in der Gehaltsgruppe II, sechstes Berufsjahr) liegen. Alle Tarifentgelte darüber werden pauschal um 77,50 Euro monatlich angehoben. Ein weiteres Plus um 1,8 Prozent gibt es zum 1. April 2020 für alle Entgeltgruppen. Die Laufzeit beträgt 24 Monate. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Philip Merten, zeigte sich erleichtert. Allerdings sei man an die Grenze des Machbaren für die Handelsunternehmen gegangen.

Kein Bonus für Kassiererinnen in den SB-Warenhäusern

Sein Pendant aufseiten der Gewerkschaft, Bernhard Franke, bewertete den Abschluss gegenüber unserer Zeitung mit Blick auf den Zustand der Branche als „ganz okay“. Es sei vom Volumen her ein Ergebnis, das „aller Wahrscheinlichkeit nach reallohnsteigernd sein wird“, sofern die Teuerungsrate nicht deutlich über zwei Prozent wachse. Die Arbeitgeber hätten immerhin ihr Tabu gebrochen, keine Drei vor dem Komma zuzulassen, freut sich der Landesfachbereichsleiter.

Die Masse der Beschäftigten, die zu drei Vierteln in der Gehaltsstufe zwei angesiedelt sind, erhält somit zunächst eine kräftige Erhöhung von drei Prozent. Keine Verbesserung mehr möglich war für die Kassiererinnen in den SB-Warenhäusern, „die zu unseren Kampftruppen gehören“. Denn die sind in der Gehaltsstufe drei eine Stufe höher eingruppiert als die Verkäuferinnen. Für diese Kassiererinnen bedeuten die 77,50 Euro einen Zuwachs von 2,8 statt 3,0 Prozent. Da wirkt der Abschluss „wie ein Deckel“, sagt Franke.

Nun wird über das Entgeltsystem verhandelt

Prinzipiell könne das Resultat Verdi keine Entzückensrufe entlocken. „Die strukturellen Probleme in der Branche werden damit nicht gelöst.“ Das Ziel eines tariflichen Mindesteinkommens von 2100 Euro etwa wurde verpasst. Es gebe in den untersten zwei Stufen nach wie vor Löhne, von denen man nicht wirklich leben könne. „Das sind Jobs, bei denen die Leute Aufstockungsleistungen nach Hartz IV beantragen können.“ Denen müsse man sagen: ihr werdet Altersarmut erleben, weil kein ausreichender Rentenanspruch erarbeitet wird. Auch bei der Allgemeinverbindlichkeit seien die Arbeitgeber nicht bereit, sich zu bewegen.

Allerdings wollte die im Einzelhandel eher organisationsschwache Gewerkschaft den Tarifkampf nicht über den Sommer ziehen, denn dies hätte die Streikbeteiligung deutlich schwächen können. „Elendlange Tarifrunden“ wie in der Vergangenheit seien aus Sicht von Verdi „eine Überforderung unserer Möglichkeiten“, sagt Franke. Gleichwohl sei es gelungen, die Arbeitgeber zu ärgern. „Das haben sie heute uns noch einmal gesagt.“

Immerhin wird nach der Lohnrunde wieder mit den Arbeitgebern auf Bundesebene über eine Modernisierung des Entgeltsystems verhandelt. Da gibt es mittlerweile eine Einigkeit bei Verdi, aber noch nicht mit der Gegenseite. „Abschlussreif wird das frühestens nächstes Jahr“, meint der Landesfachbereichsleiter.