Die Belegschaften in der Metall- und Elektroindustrie erwarten von der anstehenden Tarifrunde vor allem eine deutliche Gehaltserhöhung, hat eine Umfrage der IG Metall ergeben. Bezirksleiter Roman Zitzelsberger dämpft zu hohe Erwartungen.

Angesichts hoher Inflationsraten erhoffen sich die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie von der im Herbst anstehenden Tarifrunde vor allem eine deutliche Erhöhung der Einkommen, sagt Roman Zitzelsberger in Stuttgart. Nachdem es in den vergangenen Jahren nur Einmalzahlungen gegeben habe, gebe es eine „enorm hohe Erwartungshaltung in den Belegschaften“, fügt der Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg hinzu. Dies ist ein erster Trend einer Befragung, die noch bis Ende des Monats läuft. Bisher haben rund 30 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den befragten Unternehmen geantwortet.

 

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Zitzelsberger dämpft allerdings zu hohe Erwartungen der Belegschaften. Zwar würden die Beschäftigten „besonders unter den stark gestiegenen Preisen an der Tankstelle, im Supermarkt oder auf der Nebenkostenabrechnung“ leiden und „brauchen dringend mehr Geld zum Erhalt ihrer Kaufkraft“, sagt er. Nicht zuletzt, weil Experten im nächsten Jahr mit weiter steigenden Preisen rechneten. Aber „exorbitante Inflationsraten sind nicht durch Tarifpolitik auszugleichen“, fügt er hinzu. Hier sei die Politik als Mitverursacher der Teuerungsraten von mehr als sieben Prozent gefordert. Die Stahlindustrie sieht er dabei nicht als Vorbild. Für diese Branche hat die zuständige Tarifkommission der IG Metall Ende April eine Gehaltserhöhung von 8,2 Prozent gefordert. Der Stahlindustrie sei es gelungen, die Preissteigerungen an ihre Kunden weiterzugeben, nennt Zitzelsberger den entscheidenden Unterschied: „Alle verdienen gut.“

Die Kosten steigen

In der Metall- und Elektroindustrie sei die Lage differenzierter. Gut 60 Prozent der Unternehmen hätten ein gutes bis sehr gutes Auftragspolster, habe eine Umfrage unter 250 Betriebsratsgremien im Südwesten ergeben. „Wir haben ein Allzeithoch bei Auftragsbeständen. Aber wegen fehlenden Teilen und gestörten Lieferketten können die Bestellungen nur bedingt abgearbeitet werden“, so Zitzelsberger. Rund 90 Prozent der befragten Unternehmen würden unter steigenden Energie- und Materialkosten sowie Lieferengpässen leiden. Auf einen möglichen Lieferstopp von russischem Gas würden die Tarifparteien mit einer schnellen Einführung von Kurzarbeit reagieren.

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Wie schwierig die Situation und die Gemengelage aktuell bereits sind, zeigt sich daran, dass in Unternehmen Sonderschichten erforderlich seien und es kurze Zeit später im selben Unternehmen zu Kurzarbeit komme. Insgesamt seien die Arbeitszeitkonten bei der Mehrzahl der Unternehmen allerdings im Plus. Knapp die Hälfte der befragten Unternehmen plane sogar unbefristete wie auch befristete Neueinstellungen, fasst Zitzelsberger die Ergebnisse der Befragung der Betriebsräte zusammen. Allerdings könnte es auch zum Personalabbau kommen: In rund 14 Prozent der Unternehmen gehe es dabei um eine Reduzierung von Leiharbeitern, bei neun Prozent um unbefristete Stellen.

Risiko trotz voller Auftragsbücher

Die Probleme mit Lieferketten „laufen eins zu eins gegen die Unternehmensfinanzierung“. Denn für die Aufträge müssen Materialien bestellt werden; wenn die dann aber wegen fehlender Einzelteile nicht verarbeitet werden können, dann steigt das Risiko für viele Firmen, dass es „bei vollen Auftragsbüchern zur wirtschaftlichen Schieflage kommt“, sagte der IG-Metall-Chef.

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Dass die im September beginnende Tarifrunde wegen dieser Gemengelage verschoben würde, sieht Zitzelsberger nicht. Bis Ende Juni sollen die Diskussionen über die Tarifforderungen abgeschlossen sein, spätestens am 16. September sollen die Verhandlungen beginnen. Einen konkreten Termin gebe es für die Verhandlungen im Südwesten noch nicht.

Schwierige Verhandlungen

Die Verhandlungen dürften schwierig werden. Denn die Erwartungen der Tarifparteien lägen weiter auseinander als üblich. Deshalb hat der neue Südwestmetall-Vorsitzende Joachim Schulz vor Kurzem gewarnt: „Die breite Masse der Unternehmen kämpft mit den massiven Kostenerhöhungen und sieht ihre Erträge schwinden“, sagte er unserer Zeitung. „Vor diesem Hintergrund können wir uns gar keine Erhöhung leisten.“ Zwar hätten einzelne Mitgliedsfirmen erstaunlich gute Abschlüsse erzielt und machten gute Geschäfte. Aber die breite Masse sehe ihre Gewinne schwinden. Er sagte aber auch: „Die IG Metall versteht sehr wohl, dass die Situation für die Betriebe wirklich schwierig ist.“