Der Tarifkonflikt an den vier Universitätskliniken in Baden-Württemberg wird auch vor Gericht ausgetragen. Die Arbeitgeber legen eine bisher noch nicht gewohnte Härte an den Tag. Dennoch streiken die Pflegekräfte in Tübingen und Freiburg für mehr Personal.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Tübingen - Hart, aber fair sind die vier baden-württembergischen Universitätskliniken und die Gewerkschaft in den früheren Tarifrunden seit 2005 miteinander umgegangen. Diese Ebene der Verständigung scheint nun blockiert zu sein, seitdem die Arbeitgeber schwere Geschütze gegen die Warnstreiks am Mittwoch in Tübingen und an diesem Donnerstag in Freiburg aufgefahren haben.

 

Verdi will in den zähen Verhandlungen einen Tarifvertrag zur Entlastung der Pflegebeschäftigten durchsetzen – konkret Mindestbesetzungen und ein „Konsequenzenmanagement“. Es bedeutet: Sollten verbindliche Personalschlüssel nicht eingehalten werden, soll dies Folgen haben. Letztendlich könnten zum Beispiel Bettenschließungen nötig sein. Dies wollen die Kliniken aber partout vermeiden.

So haben die Arbeitgeber erneut versucht, die Proteste juristisch auszuhebeln. Ihr Kernargument: Verdi lässt für eine Forderung streiken, die in (Mantel-)Tarifverträgen schon geregelt ist. Diese Verträge sind aber ungekündigt, sodass für sie die Friedenspflicht gilt. Vor dem Arbeitsgericht Reutlingen wurde der Verbotswunsch des Arbeitgeberverbandes am Dienstag abgewiesen. Fünf Stunden später setzte das Landesarbeitsgericht in Stuttgart die Berufungsverhandlung an. Nach deutlichen Hinweisen des Vorsitzenden Richters an die Arbeitgeber, dass sie wohl keine Chance hätten, den Streik zu verhindern, stornierten diese den ganzen Antrag auf eine einstweilige Verfügung – auch um eine offizielle Gerichtsentscheidung gegen sich zu vermeiden.

Landesarbeitsgericht reagiert ungewöhnlich schnell

Verdi zeigt sich dennoch irritiert über die bisher völlig ungewohnte Schnelligkeit des Landesarbeitsgerichts. Bisher komme so ein Termin erst Wochen oder Monate später zustande. „Das beschleunigte Verfahren hat sich in dem Fall angeboten, weil dadurch Parallelverfahren bei anderen Arbeitsgerichten vermieden worden sind“, sagte Gerichtssprecher Ulrich Hensinger unserer Zeitung mit Blick auf die Warnstreiks in Freiburg. Daraus könne aber nicht auf die allgemeine Praxis in der Arbeitsgerichtsbarkeit und auf künftige Verfahren geschlossen werden.

Argwöhnisch beobachtet Verdi auch, dass die Unikliniken sich von der Kanzlei Allen & Overy beraten lassen. Diese sei für ein offensives Vorgehen zur Verhinderung von Streiks „einschlägig bekannt“. Dadurch bewiesen die Kliniken, nicht an der Sachfrage interessiert zu sein, so Verdi. „Die Arbeitgeber vergiften die Atmosphäre, was es fast unmöglich macht, Kompromisse zu finden“, klagt Landesleiter Martin Gross an. Sie versuchten auch, Zitate aus den Verhandlungen später vor Gericht gegen Verdi zu verwenden. DGB-Landeschef Martin Kunzmann legte bei der Kundgebung am Abend nach: „Es ist bedenklich, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber eine britische Anwaltskanzlei bemüht, um sich Verhandlungen zu entziehen“, betonte er.

70 Operationen wegen Warnstreiks verschoben

1200 von 6000 tangierten Beschäftigten wurden in Tübingen zum Warnstreik mobilisiert, sagt Verdi – die Klinikleitung hält diese Zahl für zu hoch. Hunderte Streikwillige seien als Teil der Notbesetzung zurückgeschickt worden. Dieser Notdienst hatte nach Klinikangaben den Umfang einer Feiertagsbesetzung. Rund 70 Operationen wurden demzufolge verschoben. Die Akutversorgung sei aber gewährleistet gewesen.

Die nächste Verhandlung ist für den 18. Dezember geplant. Michael Bamberg, Leitender Direktor des Universitätsklinikums, lehnt einen starren Mindest-Personalschlüssel, wie Verdi nur für die examinierten Schwestern und Pfleger fordere, ab: „Würde auf einer Station, auf der 21 Patienten durch drei Pflegekräfte betreut werden, eine Pflegekraft kurzfristig ausfallen, müssten laut Verdi-Forderung sieben Betten geschlossen werden“, sagte er. Für die Versorgung der teilweise schwerstkranken Patienten benötige man aber höchstmögliche Flexibilität.

293 neue Stellen im Pflegedienst geschaffen

Um das Pflegepersonal zu entlasten, seien in den vergangenen vier Jahren schon 293 neue Stellen im Pflegedienst geschaffen worden, davon 124 Stellen für examinierte Pflegekräfte. „Um die Entlastung zu erreichen, sind wir nahezu wöchentlich bei der Politik vorstellig und kämpfen um die Finanzierung zusätzlicher Stellen und um Mittel zur Qualifizierung anderer Berufsgruppen“, schildert er. Gerne würden man weiteres Pflegepersonal einstellen. Auf dem Arbeitsmarkt seien derzeit jedoch kaum qualifizierte Kräfte zu finden.

In ganz Baden-Württemberg fehlen nach Berechnungen der Gewerkschaft 9000 Pflegekräfte für eine gute Versorgung der Patienten in allen Krankenhäusern – nach Personalratsangaben allein in der Uniklinik Tübingen 125 Kräfte. Die Arbeitgeber bieten bisher 100 zusätzliche Stellen für alle vier Unikliniken zusammen an.