Der 25. Fall der Stuttgarter Ermittler ist ein spannendes Katz- und Maus-Spiel. Ein Erpresser könnte wahllos Stuttgarter erschießen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Es hätte einer der ruhigeren Arbeitstage werden können. Zeit, endlich die Papiere zu sortieren. Dann aber landet auf dem Schreibtisch der Kommissare Lannert und Bootz ein Brief, in dem nicht mehr steht als eine Eins. Kurz darauf ist eine Frau tot – und die Polizisten müssen nur noch eins und eins zusammenzählen, denn in die Patronenhülse ist ebenfalls die Zahl 1 eingraviert. „Wie bei der Mafia“.

 

In dem neuen Stuttgarter Tatort „Du allein“ scheint ein Heckenschütze die Stadt ins Visier genommen zu haben. Das erste Opfer ist eine Journalistin, die Missstände in der Politik aufgedeckt hatte. Aber schon bald trudelt der nächste Brief ein – und diesmal wird die markierte Patronenhülse mitten in den Weinbergen einen Stundenten töten, der gerade joggen war. Es müssen zufällige Opfer sein, vermuten die Ermittler. Wie aber soll man einen Täter finden, von dem man nur das zu wissen meint: durchschnittliche Intelligenz und mit 53-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Mann.

Der Stuttgarter Krimi hat schon viele interessante Themen aufgegriffen

Mit „Du allein“ feiert der Stuttgarter „Tatort“ ein Jubiläum. Es ist der 25. gemeinsame Fall, in dem die Schauspieler Felix Klare und Richy Müller als Ermittlerduo gemeinsam vor der Kamera stehen. So erfolgreich Dietz-Werner Steck viele Jahre als Stuttgarter „Tatort“-Kommissar war, als das neue Duo 2008 antrat, war frischer Wind dringend notwendig. Statt weiterhin Klischees über die Schwaben zu kultivieren, erscheint Stuttgart heute im „Tatort“ als moderne Großstadt, in der die Ermittler selbstverständlich Hochdeutsch sprechen. Es wurden viele spannende Themen verhandelt. Mal wurde der Terror der RAF aufgegriffen. Seiner Zeit voraus war man auch mit „HAL“, in dem es um die totale Überwachung durch Computersysteme ging. Die Folge „Stau“ über den völligen Stillstand auf der Neuen Weinsteige hat sogar den Deutschen Fernsehkrimi-Preis 2018 gewonnen. Keine Frage: der Stuttgarter „Tatort“ ist ein wichtiger Exportartikel der Stadt geworden. Auch wenn bei „Du allein“ diesmal kein übergreifendes gesellschaftliches Thema verhandelt wird, ist doch ein höchst erfrischender und gelungener Krimi herausgekommen, der nicht nach dem klassischen Schema gestrickt ist und auch ganz ohne langatmige Hausbesuche und Verhöre auskommt. Die Regisseurin Friederike Jehn und der Autor Wolfgang Stauch haben ein aufregendes Katz- und Maus-Spiel entwickelt, bei dem sich Täter und Kommissare gegenseitig treiben und immer neue Finten ersinnen.

Der Erpresser holt das Lösegeld nicht ab

Schon bald fordert der Mörder drei Millionen Euro. Für die Übergabe hat er ein raffiniertes wie nervenaufreibendes Prozedere ersonnen. Sebastian Bootz muss sich als Geldbote am vollen Bahngleis vor aller Augen umzuziehen, in orangefarbener Latzhose auf Kommando in eine S-Bahn steigen und die Geldpakete auf freier Strecke sekundengenau aus dem Fenster werfen. Alles läuft nach Plan – und dann holt der Erpresse das Geld überhaupt nicht ab.

Nach diesem 25. Fall heißt es allerdings auch Abschied nehmen. Carolina Vera, die seit dem ersten Einsatz von Bootz und Lannert als Staatsanwältin Emilia Álvarez mit im Team war, steigt aus. Sie wolle neue Wege gehen, heißt es. Dafür begegnet man in „Du allein“ anderen bekannten Gesichtern: Mariette Meguid vom Stuttgarter Schauspielensemble spielt eine Staatssekretärin, Maja Beckmann, ehemaliges Ensemblemitglied, landet als betrogene Ehefrau im Verhörraum. Und mit dabei ist auch Katja Bürkle, die viele Jahre eine der prägenden Gesichter am Schauspiel Stuttgart war.

Der Scharfschütze nutzt die Kessellage aus

Aber auch die Aufnahmen verorten diesen „Tatort“ unübersehbar in Stuttgart. Die Kamera nutzt die Kessellage wie selten aus. Der Scharfschütze tötet im Weinberg von einer luftigen Anhöhe aus. Er postiert sich auf einem der Flachdächer mit tollem Fernblick – und nimmt damit förmlich die gesamte Stadt ins Visier. Das erzeugt Spannung, denn die Schüsse könnten jeden treffen.

Auch wenn der ewige Zank zwischen den Kollegen und die harschen Töne auf dem Revier wie so oft im „Tatort“ auch in dieser Folge allzu sehr kultiviert werden, scheint die Ermittler ihre Wut auch anzutreiben, gegen den Strich zu denken. Und so beginnen Bootz und Lannert zu suchen, ob es zwischen den scheinbar wahllos ausgewählten Opfern nicht doch einen Zusammenhang geben könnte. Lässt sich ein Muster erkennen?

Am Schluss bleibt eine Gewissensfrage

Die Zuschauer erfahren lang vor den Kommissaren, wer hinter den Morden steckt. Den Moment hätte das Drehbuch durchaus noch ein wenig hinauszögern können, aber letztlich geht es neben dem mitunter fast thrillerhaften Rennen nicht nur um Spannung, sondern will man das Publikum auch mit Gewissensfragen konfrontieren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.