Der Chef des Tauberbischofsheimer Fechtzentrums geht nach einer bewegten Karriere in den Ruhestand. Ein Thema wird aber nie abhaken können.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Tauberbischofsheim - Matthias Behr hat ein fotografisches Gedächtnis. Dies hat zur Folge, dass er Bilder aus seiner Vergangenheit sehr eindrücklich beschreiben kann. So vermag er es, seine entscheidenden Gefechte bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal ebenso exakt nachzuerzählen, wie er sich detailreich an die WM-Halle von 1977 in Buenos Aires erinnern kann. In beiden Fällen gewann Matthias Behr mit der deutschen Florettmannschaft die Goldmedaille. Insgesamt waren es 16 Medaillen, die er bei Großveranstaltungen holte.

 

Ein weiteres einschneidendes Ereignis ist für ihn auch sofort abrufbar. „Vor 41 Jahren und genau 88 Tagen habe ich hier im Fechtzentrum Tauberbischofsheim angefangen zu arbeiten“, sagt Behr, der hier zur eigenen sportlichen Karriere parallel als Internatsleiter begann. In dieser Woche hatte der 63-Jährige nun seinen letzten Arbeitstag als Chef des Fechtzentrums.

Mit Matthias Behr verabschiedet sich gleichzeitig der letzte große Fechter aus der goldenen Tauberbischofsheimer Zeit in den Ruhestand.

Die Ehrentafel als Krisenindikator

Das Büro ist ausgeräumt, die letzten Gespräche mit den Mitarbeitern sind geführt. Noch einmal geht Matthias Behr an der Tauberbischofsheimer „Wall of Fame“ vorbei, einer Multimediawand mit den Fotos aller Medaillengewinner. An ihr ist aber im Moment auch die Krise des deutschen Fechtens deutlich abzulesen – schaffen es gerade nur noch Seniorensportler auf die Ehrentafel, zuletzt die Ü-60-Degenmannschaft der Männer. Die aktiven Fechter und Fechterinnen, zwischen den 1970er und 1990er Jahren die sportlichen Goldhamster der Nation, haben dagegen den Anschluss zur Weltspitze verloren.

Nach 1993, als das deutsche Team noch elf WM-Medaillen gewonnen hatte, ging es stetig bergab. Der damalige Cheftrainer und große Tauberbischofsheimer Fecht-Zampano Emil Beck habe sich danach mehr eigenen Projekten gewidmet, so lautet eine Erklärung von Behr: „Und dann wurde im Jahr 2000 Gordon Rapp Präsident des Deutschen Fechter-Bundes, der als Fachfremder mit der Sportart wenig anfangen konnte. Plötzlich machte jeder, was er wollte. Seine Idee war die Dezentralisierung, und die war falsch.“

Matthias Behr ist ein Verfechter der Zentralisierung und sieht sie als einzigen Weg aus der Krise. Florett in Tauberbischofsheim, Degen in Bonn und Säbel in Dormagen, so stellt er sich die Bündelung nach Waffengattungen vor. „In einer Kampfsportart müssen die Besten täglich gegeneinander antreten. Dieser ständige Wettbewerb ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Behr hielt als Leiter des Tauberbischofsheimer Fechtzentrums zuletzt den Schlüssel des Misserfolgs in der Hand, „ohne Einfluss nehmen zu können“, wie er sagt. Wo es sportlich langgeht, das entscheidet nicht er, sondern der Fachverband. Behrs Arbeitsplatz wurde in diesem Jahr der Status „Olympiastützpunkt“ aberkannt.

Seinen guten Ruf hat Matthias Behr aber verteidigt. Durch den Bericht eines Nachrichtenmagazins kam im vergangenen Jahr der Verdacht auf, Behr habe versucht, sexualisierte Gewalt am Fechtzentrum vertuschen zu wollen. Eine Fechterin hatte 2016 angegeben, dass sie zwölf Jahre zuvor von einem Tauberbischofsheimer Trainer sexuell bedrängt worden sei.

Während diese Anschuldigung juristisch nicht geklärt werden konnte, kamen sowohl Staatsanwaltschaft als auch eine vom Fechtclub Tauberbischofsheim eingesetzte Ermittlungsgruppe zu dem Ergebnis, dass bei Matthias Behr kein Fehlverhalten zu erkennen sei. „Abhaken werde ich das aber nie können. Das ist so eine unglaubliche Rufschädigung gewesen“, sagt er.

Dafür konnte er andere Themen für sich abschließen. Dazu gehört der Realität gewordene Albtraum von 1982, als bei der WM in Rom die Klinge seiner Waffe bricht und sich durch die Maske in den Kopf von Wladimir Smirnow bohrt. Nach dem Tod des Russen versucht er immer wieder vergeblich, Kontakt zu dessen Witwe aufzunehmen. Vor zwei Jahren kamen dann doch noch zwei persönliche Treffen mit Emma Smirnowa zustande. „Uns beide haben diese Gespräche gutgetan“, sagt Matthias Behr.

Das zweischneidige Verhältnis zu Emil Beck

Auch das Verhältnis zu seinem 2006 verstorbenen Ziehvater Emil Beck hat er für sich geklärt. Weil Matthias Behr mittlerweile in der Lage ist, sowohl die langjährige Zuneigung als auch die spätere Abneigung, die er gegenüber dieser dominanten Persönlichkeit verspürt hat, in Einklang zu bringen. Emil Beck förderte Matthias Behr wie keinen anderen, wählte ihn zu seinem Nachfolger aus, auf der anderen Seite forderte er von seinem Lieblingsschüler, das Privatleben dem Fechten zu opfern. Die erste Ehe von Matthias Behr ging in die Brüche, die zweite mit der Fechterin Zita Funkenhauser wollte er nicht auch noch scheitern lassen. Beck bricht mit Behr, nachdem er ihm zum Vorwurf gemacht hatte, die Familie über die beruflichen Interessen zu stellen.

Aber gerade die Familie verbindet Matthias Behr auch im Ruhestand weiterhin eng mit dem Fechten. Eine seiner beiden Töchter kann sich mit dem deutschen Florett-Team für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifizieren. Und dem Fechtclub Tauberbischofsheim hat er auch schon seine Hilfe angeboten, wenn es beispielsweise darum geht, Sponsoren zu gewinnen. Aber jetzt freut sich Matthias Behr erst einmal, viel mehr Freizeit gewonnen zu haben.