Im neuen Jahr wird es im Filderstädter Gemeinderat abermals ums Thema Bodenschutz auf der Filderebene gehen. Das Thema hatte im Technischen Ausschuss zuletzt keine Mehrheit gefunden. Derweil bringen sich die Befürworter in Stellung.

Es ist kalt. Nebel und Sprühregen hängen in der Luft. Auf dem Bärenhof vor den Toren von Bernhausen wird trotzdem geschafft. Schlechtes Wetter kennt der Landwirt Thomas Raff nicht. Vornehmlich Gemüse baut der 37-Jährige an. Ein anstrengender Job, doch Thomas Raff sagt, dass seine Arbeit zusätzlich immer schwieriger wird. Neben steigenden Kosten und Klimawandel mache dem Bauern der Flächenfraß zu schaffen. „Fast schon jährlich“ verlieren nach seiner Aussage entweder er oder andere Branchenkollegen Areale, die sie bewirtschaften können – durch Bauvorhaben, durch den Flughafen, durch Straßenprojekte oder durch Stuttgart 21.

 

Er und auch diverse Kollegen hatten sich daher über einen Vorstoß der Freien Wähler im Gemeinderat gefreut. Sie hatten angeregt, dass der Oberbürgermeister Christoph Traub sich in einem Brief an die kommunalen Spitzenverbände sowie Entscheidungsorgane von Bund und Land dafür einsetzt, dass der Schutz wertvoller Ackerflächen als eigenständiges Ziel in die Gesetzgebung aufgenommen wird. In der jüngsten Sitzung des Technischen Ausschusses war das Anliegen jedoch überraschend durchgefallen. Stattdessen hatte sich eine unerwartet breite Front aus SPD, FDP und CDU gebildet. Man dürfe die Entwicklung der Stadt nicht verhindern, etwa im Sinne von Gewerbe. Der Gemeinderat habe die Abwägung durch den Flächennutzungsplan doch selbst in der Hand.

Nicht nur Thomas Raff ist enttäuscht. „Boden ist ein knappes Gut und unwiederbringlich“, sagt Frank Handte (37), Landwirt aus Bonlanden. Auch Ernst Schumacher (70), landwirtschaftlicher Obmann für Bernhausen, betont die Notwendigkeit der Versorgung der Bevölkerung mit regionalen Lebensmitteln. „Das wäre für alle zwingend notwendig, wir haben es vor zwei Jahren gesehen, als nichts mehr reinkam.“ Thomas Raff stellt klar, dass der Flächenverbrauch letztlich jeden einzelnen betreffe, denn durch fehlende Flächen würden Lebensmittel knapper und folglich auch teurer. Schon jetzt sei er gezwungen, verbliebene Felder anders zu bewirtschaften und auf arbeitsintensivere Kulturen auszuweichen. „Wir müssen Gemüsekulturen anbauen, weil da die Wertschöpfung größer ist“, sagt er, auch auf Folientunnel sei er zunehmend angewiesen.

Am 12. Dezember hätte eigentlich der Gesamtgemeinderat über Brief oder nicht bestimmen sollen, das Thema ist aber überraschend vertagt worden. Im Ältestenrat wurde vereinbart, die Sache erst in der ersten Sitzung des neuen Jahres aufzurufen, erklärt der Oberbürgermeister Christoph Traub. Das wäre am 6. Februar. Dennoch bringen sich die Befürworter bereits in Stellung, allen voran die Landwirte.

Gänzlich unpolitisch ist das alles nicht. Ernst Schumacher sitzt selbst für die Freien Wähler im Gemeinderat, Frank Handtes Vater Gebhard ist ebenfalls Mitglied der Fraktion. Auch der Fraktionsvorsitzende Stefan Hermann hat nochmals die Öffentlichkeit gesucht und anlässlich des internationalen Tages des Bodens am 5. Dezember eine Resolution veröffentlicht. Der Klimawandel, die durch den Krieg verschärfte globale Versorgungskrise sowie die rasante Erhöhung von Lebensmittelpreisen machten eine gesetzliche Verankerung des Schutzes wertvoller Ackerfläche unausweichlich, zumal der Boden bisher in den Abwägungsprozessen von Umlegungs- und Infrastrukturmaßnahmen keinen oder keinen hinreichenden gesetzlichen Schutz erhalte.

Rückendeckung gibt es aber auch aus anderer Richtung. Willfried Nobel aus Bernhausen, ein studierter Agrarbiologie mit einer früheren Professur im Fach Ökologie und Umweltschutz, ehemaliger SPD-Politiker sowie Referent für Flächen- und Bodenschutz beim Landesnaturschutzverband, hat sich in einem offenen Brief an den Gemeinderat gewandt. „Meine Botschaft lautet unmissverständlich: Wir müssen auch in Zukunft die besten Agrarböden landwirtschaftlich nutzen können! Dafür sind die nötigen gesetzlichen Regelungen zu schaffen“, schreibt er darin.

Was die Filderstädter Landwirte sich wünschen würden? „Alles über 60 schützen“, sagt Ernst Schumacher. Er erklärt: Die Güte von Äckern werde über sogenannte Bodenpunkte bewertet. 100 sei die Höchstpunktzahl. „Im Bereich Flughafen haben wir 98er-Werte“, sagt er. Das zu wissen sei entscheidend, um etwa Bauvorhaben besser bewerten zu können. Er glaubt: „Die Planer haben von der Lokalität keine Ahnung, das ist unser Problem.“

So wird Boden bewertet

Ertragsfähigkeit
Die Ertragsmesszahl ist ein Index für die natürliche Ertragsfähigkeit eines Bodens. Dafür werden die Bodenbeschaffenheit untersucht und seine natürlichen Ertragsbedingungen beurteilt. Der Landesdurchschnitt liegt in Baden-Württemberg bei 44,6. Die besten Böden im Land mit Werten über 60 liegen laut einer Karte des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz demnach in den Kreisen Ludwigsburg, Heilbronn, Heidelberg und Karlsruhe sowie am Oberrhein. Im Kreis Esslingen ist demnach nur ein nördlicher Streifen besonders ertragreich.