Das Umweltbundesamt warnt vor krank machendem Lärm. Stuttgarter Forscher entwickeln Materialien, die den Schall absorbieren – an Straßen und im Großraumbüro. Diese Absorber können leicht sein und gut aussehen, sagen sie.

Stuttgart - Flugzeuge, Autos, Rasenmäher oder auch nur die Gespräche der Kollegen im Großraumbüro: lästige Geräusche umgeben uns täglich. Ein Flugzeug dröhnt beim Start mit etwa 120 Dezibel. An einer stark befahrenen Straße sind wir einem Lärmpegel von 70 ausgesetzt und bei einer Unterhaltung schallt unsere Stimme mit etwa 60 Dezibel. „Unsere Ohren hören als Alarmorgan permanent und ohne Pause“, sagt Philip Leistner vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart.

 

Das Umweltbundesamt (UBA) warnte am Mittwoch vor den Gefahren: Lärm sei eine Belastung, die zwar nur lokal wirke, aber nahezu flächendeckend auftrete, sagte der UBA-Präsident Jochen Flasbarth in Berlin. Jeder zweite Menschen fühle sich durch Lärm gestört oder belästigt. Ob das Ohr Schaden nimmt, hängt von dem Schalldruckpegel (der Lautstärke) und der Dauer ab. Ein kurzes nahes und lautes Geräusch kann ab etwa 120 Dezibel direkt das Gehör schädigen. Die Sinneszellen nehmen aber auch Schaden, wenn sie ohne Ruhepause fortwährend stark gereizt werden. So können bei einer Arbeitswoche mit 40 Stunden Hörschäden schon ab 85 Dezibel auftreten.

Absorber sind oft nicht funktional, klagt der Forscher

Bereits eine leichte Schädigung kann zu Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche und zu Anspannung führen. Wenn Geräusche richtig „nerven“, leidet das vegetative Nervensystem, der Krach schlägt auf den Magen, raubt den Schlaf und das Herz schlägt schneller. „Im Großraumbüro ist es die verständliche Sprache im Hintergrund, die stört“, sagt Leistner.

Schutzwände und Schallabsorber können den Geräuschpegel effektiv senken. Bei konventionellen Bauteilen handelt es sich um Platten, Würfel oder Kegel mit rauen, besonders gut Schall schluckenden Oberflächen, die meist aus Schaumstoff bestehen. „Leider sind sie häufig wenig funktional“, erklärt Leistner mit Blick auf Feuerfestigkeit, hygienische Anforderungen und Ästhetik. „Kaum jemand wird massive Betonmauern entlang von Straßen als schön bezeichnen“, bemerkt der Experte, der am IBP die Abteilung Akustik leitet.

Mikroperforierung ermöglicht Leistner zufolge hingegen optisch ansprechende Schallabsorber, die flexibel einsetzbar sind. Zur Herstellung werden dünne Membranen oder Platten mit vielen winzigen Löchern oder Schlitzen versehen. Trifft Schall auf die Fläche, entsteht an den Rändern der Mikroöffnungen Reibung zwischen den schwingenden Luftteilchen und dem Material. Die Luftteilchen verlieren dabei Energie, der Schall wird absorbiert.

Transparente Schutzwände am Straßenrand

Beim Material besteht freie Auswahl, es gibt aber eine Bedingung: „Hinter der perforierten Fläche muss sich noch eine Luftkammer befinden, so dass die Teilchen weiterhin schwingen können“ – ansonsten würde der Schall lediglich reflektiert. Je nach Ausgangsstoff werden die Flächen tausendfach gebohrt, gestanzt oder genadelt. Das Verfahren ist schon länger bekannt, unter der wissenschaftlichen Regie des IBP kam es 1993 im Plenarsaal des Bundestages zum Einsatz: „Es war damals der einzige, aber auch sehr teure Weg, Transparenz und Schallabsorption zu verbinden“, erklärt Leistner. Erst heute sei eine wirtschaftliche Anwendung möglich.

Erstmals sind nun auch besonders schallabsorbierende und lichtdurchlässige Lärmschutzwände möglich, die den Verkehrslärm schlucken. „Es gibt zwar bereits transparente Schallschutzwände, doch die reflektieren und verteilen den Schall nur“, sagt Leistner. Die neuen Elemente sind durch ihre Wabenstruktur leicht und stabil. Sie sollen auch als Stellwände im Büro für Ruhe sorgen können.

Um Schallabsorber mit großen Flächen herzustellen, wird das wirtschaftliche Verfahren der Extrusion angewendet, bei dem das zweidimensionale Flächenprofil mit Mikroschlitzen, Luftkammern und Grundplatte aus einem Guss vom Band kommt. Dazu werden Kunststoff oder Aluminium durch eine formgebende Öffnung gepresst. Befestigungsmethoden, die oft teurer waren als der Rohstoff selbst, gehören der Vergangenheit an. Zusammen mit Industriepartnern haben die IBP-Forscher einige mikroperforierte Elemente bis zum marktreifen Produkt entwickelt, die in Möbeln und Leuchten enthalten sind. Zur Produktpalette gehört auch ein lärmreduzierender Vorhang, der mit speziellen Beschichtungen noch die Luft im Raum verbessert.