Im Rottweiler Testturm von Thyssen-Krupp werden nicht nur superschnelle Aufzüge auf Herz und Nieren geprüft.

Rottweil - Für sich genommen ist der neue Testturm des Aufzugherstellers Thyssen-Krupp im Württembergischen Rottweil schon ein Gigant: Mit seinen 246 Metern Höhe ist der Turm das größte deutsche Gebäude südlich der Bankentürme von Frankfurt am Main. Doch es geht noch höher – zumindest in der Simulation. Mit einem sogenannten aktiven Schwingungstilger lassen sich in Rottweil Gebäudeschwingungen von weitaus größeren Hochhäusern nachahmen.

 

„Derzeit gibt es rund 180 Gebäude über 300 Meter“, sagt der Chef der Thyssen-Krupp-Aufzugssparte, Andreas Schierenbeck. Und die Zahl der Wolkenkratzer steigt weiter. Die meisten Vertreter dieser Gattung stehen und entstehen im asiatischen Raum. Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der modernen Gebäudetechnik sind dagegen häufig in Deutschland angesiedelt.

Der Aufzugsturm ist im Rohbau fertig. Derzeit montieren die Bauarbeiter die Aussichtsplattform. Die war ein Geschenk an die Kommune Rottweil. Die Bürger sollten sich angesprochen und eingebunden fühlen. Es gab denn auch keine Proteste gegen den weithin sichtbaren Neubau. Die öffentlich zugängliche Plattform in 232 Metern Höhe, die über einen verglasten Panoramalift erreichbar ist, sei „die höchste in Deutschland und Europa“, betont Schierenbeck. Die Eröffnung für Besucher ist nach derzeitigem Stand für Mai 2017 geplant. Dann hoffen die Betreiber auf bis zu 100 000 Turmbesucher pro Jahr.

Großes Interesse in der Bevölkerung

Doch schon jetzt stößt die Baustelle bei der Bevölkerung auf großes Interesse. Das Tourismusbüro der Stadt bietet spezielle Baustellenführungen an. Eine kleine Ausstellung informiert am Fuß des Turms über den Bau. Im vergangenen Jahr wurden dort 50 000 Interessierte gezählt. Wahrscheinlich schauen sich derzeit mehr Menschen den Neubau an als die älteste Stadt Baden-Württembergs selbst, die sich auch als Stadt der Türme bezeichnet. Der Aufzugsturm passt perfekt dazu. „Moderne trifft Tradition“, sagt Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß. Damit auch die Optik stimmt, verpassen die Star-Architekten Helmut Jahn und Werner Sobeck der grauen Betonröhre noch eine attraktive Fassade.

Betriebsbeginn für die Aufzugstests ist nach Angabe von Schierenbeck dieser Dezember. Dann werden die ersten Aufzüge durch die neun Testschächte flitzen. Hinzu kommen noch zwei weitere Schächte für die Feuerwehr und der Besucherlift auf die Panoramaplattform. Hauptziel der Forschung und Entwicklung sind einerseits Hochgeschwindigkeitsaufzüge, die mit bis zu 65 km/h durch den Turm rasen. Außerdem will Thyssen-Krupp hier ein neues Aufzugkonzept testen: die sogenannten Magnetschwebekabinen.

Das sind Aufzugskabinen ohne Seil, die nur mithilfe von Magnetführungen durch den Schacht geleitet werden. Das besondere an dem Konzept: Es können mehrere Kabinen gleichzeitig in einem mehrere Hundert Meter langen Schacht fahren. Und über horizontale Verbindungsmechanismen können die Kabinen auch den Schacht wechseln. Schierenbeck betont hier insbesondere die Sicherheit: Bei einem Stromausfall könnten die Kabinen nicht herunterfallen. „Die Kabine senkt sich dann mit höchstens fünf Zentimeter pro Sekunde langsam nach unten“, erläutert Schierenbeck. Der Sicherheitsmechanismus funktioniert nach dem selben Prinzip wie eine sogenannte Wirbelstrombremse für schnelle Schienenfahrzeuge.

240 Tonnen hängen an acht Seilen und fangen Windstöße ab

Prinzipiell hätte das Unternehmen den Testturm auch wie einen Bergwerksschacht in die Tiefe versenken können. Doch die Forscher und Entwickler wollen mit dem frei stehenden Turm insbesondere das reale Gebäudeverhalten und die Wechselwirkung mit dem Aufzug untersuchen. Im Wind schwingt der Turm, bei Sonne verbiegt sich die Konstruktion. Das muss die Aufzugstechnik berücksichtigen. Technisch können Schwingungen durch die Gegenschwingung eines Pendels kompensiert werden. Daher befindet sich auf rund 193 Meter Höhe ein Schwingungsdämpfer. Der hängt an acht Seilen, wiegt stolze 240 Tonnen und fängt gewissermaßen den Windstoß auf das Gebäude ab. Er hilft, die maximale Turmauslenkung im Sturm auf 76 Zentimeter zu begrenzen.

„Doch wir können den Turm auch aktiv schwingen lassen, wie etwa das One World Trade Center in New York“, sagt Andreas Schierenbeck. An der Schwingungsdämpfermasse – das sind riesige, zusammengefügte Betonquader – machen sich dann mehrere Linearmotoren zu schaffen und setzen das Pendel in Gang. Die Bewegungsenergie überträgt sich über die Aufhängung auf das Gebäude und bringt es zum Schwingen. Mit einer Schwingungsperiode von acht Sekunden können die Ingenieure das simulierte One World Trade Center (Höhe bis zum Dach: 417 Meter) dann um 76 Zentimeter hin- und herschwingen lassen. „Dies Option gibt es bei keinem anderen Testturm“, sagt Schierenbeck.

Immer höher hinaus

Internet Wer angesichts der Vielzahl von Mega-Wolkenkratzern den Überblick behalten will, sollte einen Blick auf die Internetseite www.skyscraperpage.com werfen. Demnach ist das höchste derzeit existierende Gebäude der Burj Khalifa in Dubai, der Hauptstadt der Arabischen Emirate. Mit 163 Stockwerken erreicht der nach oben spitz zulaufende Turm eine Höhe von 828 Metern. Auf Platz zwei rangiert mit 632 Metern und 121 Etagen der Shanghai Tower in China, der 2015 fertiggestellt wurde.

Projekte Der Höhenrekord des Burj Khalifa dürfte allerdings nicht mehr allzu lange halten. Bereits 2019 soll den Planungen zufolge der Kingdom Tower in Dschidda (Saudi Arabien) fertiggestellt werden. Mit 167 Stockwerken soll er eine Höhe von gut 1000 Metern erreichen. Auch damit muss noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Denn Architekten und Investoren wollen immer höher hinaus.