Was sagen eigentlich andere Musiker zu Techno? Das wollten wir von Michael "Sad Sir" Setzer, Gitarrist bei "End Of Green" wissen. Der Abend endete mit viel Rotwein und essentiellen Fragen (Beatles oder Stones?).

Stuttgart - Der Abend endete mit viel Rotwein und essentiellen Fragen wie: Wer war wichtiger – die Beatles oder die Stones? Spielen The XX wirklich nur 37 Minuten lange Konzerte? Was machen eigentlich Linkin Park, wenn bei ihren Konzerten mal das Laptop abstürzt?

 

Zuvor haben wir mit Michael Setzer Techno gehört. Der hat mit dem Genre wenig am Hut. Wir wollten von einem szenefremden sowie professionellen Musiker wissen, ob Techno was kann. Die Vorraussetzungen für einen unterhaltsamen Abend standen gut, den Michael meinte im Vorfeld: „Ich kann mit bestem Gewissen sagen: Techno macht mich völlig irre.“ Perfekt! Richtig irre ist er aber dann doch nicht geworden, so viel sei vorab verraten.

Michael „Sad Sir“ Setzer ist Gitarrist bei der Gothic Rock Band End Of Green, die vor einigen Monaten ihr achtes Album „The Painstream“ veröffentlichten, damit auf Platz 13 in den deutschen Verkaufscharts eingestiegen sind und kürzlich das LKA ausverkauften.

Wir beginnen ziemlich roh mit einem Track von Marcel Dettmann, der beim SEMF spielt. Hast du den Namen schon mal gehört?
Setzer: Noch nie.

Der Berliner ist Resident im Berghain und den Sound des Clubs entscheidend geprägt.
Setzer: Berghain sagt mir was. (Die Bassdrum setzt ein, die Snare und Hihats kommen dazu und wieder weg, Setzer schmunzelt) Okay. Hätte gedacht, da kommt jetzt mehr und das Stück steigert sich. Das erinnert mich an den Techno Anfang der 1990er, als es hieß, Techno ist neu, ist der brandheiße Scheiß, das musst du dir mal anschauen. Dann war ich in der Scheune in Ludwigsburg, wo es auf einmal Techno-Partys gab, weil eben heißer Scheiß, und stand den ganzen Abend nur herum und habe die Leute beobachteten, weil ich mit der Musik tatsächlich nichts anfangen konnte. Das Stück lebt ja von der Wiederholung und so störts mich nicht, es nervt nix dabei. Ich könnte da locker abschalten, Sport dazu machen, Fenster putzen...

Du könntest dir das also anhören?
Setzer: Ja. Ich würde nach drei Minuten wohl erst feststellen: Ach, da läuft ja Musik. Das ist total primitiv, da passiert ja die ganze Zeit über das Gleiche - oder besser gesagt nichts.

Man muss Marcel Dettmann zu Gute halten, dass er wesentlich ausgefeiltere, klangvoller arrangierte Stücke produzieren kann, wie z.B. auf seinem neuen Album „II“. Du könntest nicht sagen, ob das Stück von 2013 oder von 1995 ist?
Setzer: Ich könnte nicht einmal sagen ob es gut ist! Ich erkenne keine Qualität daran, aber es nervt wie gesagt nicht. Ich glaube Rammstein und diese Art von Musik ist der Grund, weshalb man uns Deutsche für Langweiler im Bett hält. Das ist nicht funky. Menschen in anderen Ländern glauben, wir fänden das sexy. Da fängt unser Problem an.

Fies! Das nächste Stück ist meiner Meinung nach musikalisch wesentlich reichhaltiger.
Setzer: Egal ob bei Rock oder HipHop, ich mag es, wenn ein Stück Melodie hat und wenn wärmere Harmonien reinkommen. Wenn man vom Rhythmus absieht, könnte das von einer Post-Rock-Band sein, wie z.B. von Mogwai aus Schottland, die mit ein paar Effektgeräten ihre Gitarren ziemlich verunstalten, so dass eine z.B. rückwärts läuft. So klang auch gerade so in diesem Stück.

Wenn man sich den Beat wegdenken würde, geht das für mich ein wenig in Richtung von Pink Floyd.
Setzer: Ja, Post-Rock wird das eben meistens genannt und das sind oft Instrumentalbands, die sich z.B. bei Krautrock bedienen und Töne mit Effekten so verfremden, dass es im Grunde nicht mehr der Originalton ist. Daran hat mich das erinnert, bis eben auf den Rhythmus. Ich glaube, das ist mein Hauptproblem mit dieser Musik. Dieser Rhythmus lädt mich nicht zum Tanzen ein. Ein gängiger HipHop-Beat hat für mich mehr Groove als das.

„Allowence“ von Isolée war einer der größten „Hits“ dieses Jahr. Isolée ist seit vielen Jahren ein sehr renommierter Produzent aus Deutschland. Würdest du sagen, der kann was?
Setzer: Also er interessiert sich scheinbar definitiv für Harmonien und Melodien, weil da stellenweise mehrere gleichzeitig ineinander laufen. Es wirkt nicht daher gestümpert und es klingt sauber, nur der Rhythmus macht es wieder gewöhnlich, da hätte er etwas waghalsiger sein können.

Die nächste Platte ist wieder von einem SEMF-Act, einer der Headliner, Luciano (Setzer lacht). Wie, schon mal gehört?
Setzer: Den Namen hab ich schon mal gehört, ja

Im Zusammenhang mit Pavarotti? (lachen)
Setzer: Pavarotti sowieso. Ich bin oft durcheinander gekommen. Es gibt Luciano und dann gibt es einen Lucero, das ist, glaube ich, ein Reggae-Sänger, und gleichzeitig gibt es eine Punk-Band die Lucero heißt. Die habe ich mir jahrelang nicht angehört, weil ich durch Luciano und durch den Reggae-Künstler dachte, die ist nix. Deswegen musste ich gerade lachen, weil Luciano klingt ja schon nach musikalischer Kultur, aber in den letzten Minuten ist ja noch nichts passiert, außer ein paar Geräusche im Hintergrund.

Die Platte geht fast elf Minuten.
Setzer: Ach du Scheiße.

Luciano ist ein Schweizer mit chilenischen Wurzeln und zwischenzeitlich einer der ganz Großen, eigene Partyreihe auf Ibiza etc..
Setzer: ...also ich hab den Namen schon voll oft gehört. (Die markante Melodie setzt ein) Okay, das ist jetzt aber überraschend! Jetzt wo du Ibiza sagst, denke ich, dass die Musik garantiert Spaß macht, wenn Frauen in Bikinis tanzen, morgens, wenn es bald wieder Frühstück gibt. Das Geklopper und Geklacker im Hintergrund finde ich richtig cool, das erinnert mich an The Notwist, die sich einst Martin Gretschmann (alias Console alias Acid Pauli, d. Red) ins Boot geholt haben. Bei denen mochte ich schon so ein Geklacker. Man hört auf jeden Fall genauer hin und denkt sich oft, was war das gerade für ein Sound?

„Orange Mistakes“ ist quasi das Fundament seiner steilen Karriere.
Setzer: War das bei der Veröffentlichung großartig anders als der Rest zu dieser Zeit?

Es war ein neuer Sound, beziehungsweise ein wenig die Neuauflage von Minimal. 2003 war noch Electro-House-Pop ziemlich groß und diese Platte hat mitunter dem Ganzen einen neuen Kick gegeben.
Setzer: Ich glaube, wenn du lang tanzen willst, ist das super. Daheim würde ich mir das nie auflegen. Ich denke aber, Luciano interessiert sich für Musik. Ich bevorzuge dennoch Lucero aus Memphis.

Das denk ich mir. Das kannst du vielleicht.
Setzer: Das hat jetzt schon mehr Funk alles andere! Ah, Handclaps! Das klingt bisschen wie damals im M1, als sie um 3 Uhr versucht haben, die Leute nochmals zu mobilisieren. (Die Melodie setzt ein, Setzer lacht wieder.)

Schon mal gehört?
Setzer: Ja, das kommt mir bekannt vor. Vielleicht weil es so klingt, wie diese Wohnzimmer World Music, dingdidingdiding...

Das ist einer der größten Hits dieses Jahr und von DJ Passion aus Stuttgart, nennt sich aber hier Ninetoes.
Setzer: Passion? Der DJ Passion? Geil! Das ist ja krass! Super! Ich kenn diese Melodie, aber ich weiß wirklich nicht woher.

Die Melodie ist gesampelt von einer Band namens Concept Neuf aus dem Jahre 1979.
Setzer: Verstehe. Der Passion hat doch immer beim HipHop-Donnerstag im Club Hi aufgelegt?

Yep und dank diesem Tune legt er jetzt in ganz Europa auf.
Setzer: Seine HipHop-Wurzeln erklären vielleicht, warum das Stück so funky und groovig ist. Echt krass. Dieses Sample würde mich nur irgendwann nerven.

Könntest Du darauf tanzen?
Setzer: Ich würde eher etwas mitwippen. Das würde mich nie auf eine Tanzfläche holen, aber wenn ich z.B. auf einen Drink warten würde, würde ich feststellen, dass sich meine Füße leicht bewegen, weil es eben leicht funky ist. Aber unter 1,4 Promille geh ich eh sowieso nie auf eine Tanzfläche.

Als nächstes ein weiterer großer Hit, auch sehr beliebt gewesen auf Ibiza.
Setzer: (Die Melodie beginnt) Das kenn ich!

Das kennst du? Warst du wieder heimlich auf Ibiza?
Setzer (lacht): Ich fand den Anfang ziemlich cool, das hat ein bisschen dunkler geklungen, ein bisschen wie bei einer Orchesterprobe. Das hatte etwas bedrohliches, und jetzt klingt es eher etwas enttäuschend.

Das ist ja eine simple Dreiton-Melodie. So etwas macht ihr bei End Of Green z.B. gar nicht oder?
Setzer: Nein, aber das klassische Gitarrensolo sind ja meist auch nur drei, vier Töne, die man ständig wiederholt, z.B. in einer Blues-Tonleiter. Oh, jetzt wird es trancig, ein bisschen wie bei der Space Night. Läuft da eigentlich im Hintergrund die Mundharmonika von „Spiel mir das Lied vom Tod“? Das Stück ist echt okay. Da laufen mehrere Melodien und Harmonien gegeneinander und das finde ich interessant. Das ist wie bei Gitarristen, die gegenläufig spielen und sich so ein neues Gesamtbild ergibt.

Jetzt haben wir es...
Setzer (ruft dazwischen): Das klingt voll nach 90er! Wie „Show Me Love“ oder wie das hieß! Ich mag die Stimme. Sie klingt irgendwie versaut.

Ich mag die Stimme gar nicht, muss ich sagen.
Setzer: Doch, finde ich gut. Aber das Stück, gerade der Basslauf, erinnert mich tatsächlich an diesen frühen 90er Vocal-House. Ich stell mir gerade vor, was man alles aus dem Stück noch machen könnte, wenn man einen Gitarrist zwischendurch dazu spielt. Das wäre geil!

Das ist ja eher ein klassischer Song.
Setzer: Ich finde, das ist ein Poplied, mit fähigen Harmonien und so weiter, aber alles nicht neu, gerade diese Bass-Sounds sind in jedem Poplied drin. Das ist aber gut gemachter „Electro-Pop“. Die Stimme gefällt mir wirklich! Mit etwas mehr Liebe zum Songwriting, würde ich das wahrscheinlich ein bisschen abfeiern oder zumindest die Telefonnummer der Sängerin haben wollen.

Zum Abschluss wird es richtig fies.
Setzer (lacht): Das sehe ich schon am Cover! Ich habe den Väth eher als eine Ikone wahrgenommen und weniger seine Musik. Wie hieß sein frühes Projekt? Off? (Ende der 1980er Jahre, d. Red.)

Genau.
Setzer: (Der schnelle Bass setzt ein, Setzer stöhnt) Das war der Grund, warum meine Kumpels und ich diese Musik damals nicht ertragen haben. (Das Stück wird immer heftiger) Oh Gott! (lachen) Man muss den Leuten damals zu Gute halten, dass sie Dinge ausprobiert haben, die vor ihnen keiner in der Form ausprobiert hat. So gesehen ist es schon okay, aber...

...das ist Pionierarbeit, klar.
Setzer: Ja! Nur hätte ich ohne diese Pionierarbeit gut leben können (lacht). Ich denke mir, was aus der Pionierarbeit nach und nach wurde, ist wesentlich erträglicher als die Pionierarbeit, die damals geleistet wurde. Das ist aber bei Rock nicht anders. Wenn ich mir heutzutage alte Punk- und Hardcore-Bands anhöre, denke ich mir: Was für ein Dreck war das eigentlich? Es gibt natürlich auch jede Menge gute frühe Rock-Platten.

Mit einem Abstand von 20 Jahren finde das Stück auch schrecklich, aber speziell auf diesen Remix sind wir damals im OZ, heute Aer Club, schwer abgegangen.
Setzer: Ich glaube, wie schon gesagt, dass gerade diese Art von Techno der Grund dafür ist, warum Rocker Techno abgrundtief hassen, weil derartige Scheiben ihr Techno-Bild geprägt haben und sie sich genau daran noch erinnern. 1993, 1994 hatten wir Weltschmerz, 1993 fanden wir Black Sabbath oder Soundgarden geil, weil die negativ waren, weil die wütend waren und dann kamen plötzlich Leute in lilagelben Hosen daher – das ging nicht! Das war für mich damals eine komplett andere Welt und eine Gegenbewegung zu unserem Zeitgeist.

Diese Gegenbewegung wurde zur Massenbewegung. Und Sven Väth ist immer noch schwer dabei und wieder beim SEMF zu Gast.
Setzer: Als ich noch im Prag (ehemaliger Club auf dem Pragsattel, d. Red) aufgelegt habe, meinte eines Abends der Chef, dass ich heute eine Stunde länger machen könnte, weil um 6 Uhr die Afterhour mit Sven Väth los geht. Irgendwann kam ein kleiner blonder Mann in die Kabine, sagte hallo und fragte, ob ich Durst hätte. Dann habe ich erst gecheckt, dass es Sven Väth ist. Eine Woche später haben an dem Mischpult Knöpfe gefehlt. Die Chefs meinten daraufhin, die Leute haben die Knöpfe nach seinem Gig geklaut, weil sie von Sven Väth berührt wurden!