Die falschen Polizisten am Telefon bleiben weiter erfolgreich – und leider verlieren die Opfer riesige Vermögenswerte. Die Welle der Schockanrufe ebbt nicht ab.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Die Betrugsspezialisten der Stuttgarter Kripo haben schon vieles erlebt, doch diese Schadenssumme ist auch für sie höchst ungewöhnlich: Auf etwa eine halbe Million Euro wird der Wert der Beute geschätzt, mit der sich im Stadtbezirk Sillenbuch ein falscher Polizist aus dem Staub gemacht hat. Eine Seniorin hatte Gold und Uhren als vermeintliche Kaution übergeben, damit ihre Tochter nicht in Haft kommt. Sie war auf die Mär einer Bande von Anrufbetrügern hereingefallen.

 

Laut Polizei spielte sich der jüngste Coup eines sogenannten Schockanrufs am Mittwoch gegen 11 Uhr in Sillenbuch ab. Seit Tagen überziehen die Täter die Region mit der erfundenen Geschichte, dass ein Angehöriger einen tödlichen Unfall verursacht habe und nur eine Kaution ihn oder sie vor einer Untersuchungshaft bewahren könne.

Ist Schweigen ein gutes Gegenmittel?

Ein solcher Anruf kann etwa so beginnen: Ein Wimmern am anderen Ende der Leitung, dann eine weinerliche Frauenstimme: „Hallo . . . – es ist etwas Schreckliches passiert.“ Als der Angerufene erst einmal mit Schweigen reagiert, legt die Unbekannte nach etwa 15 Sekunden wieder auf. Offenbar dauert dem oder der Betrügerin das zu lange. Womöglich ist das ein gutes Gegenmittel: Die Suche nach Opfern ist Fließbandarbeit, da ist wohl keine Zeit zu verschwenden.

Allerdings dürfte die Sillenbucher Seniorin völlig überrumpelt worden sein – sie glaubte, ihre Tochter am Apparat zu haben. Die Anruferin übergab dann an einen angeblichen Polizisten, und der wickelte sein Opfer psychologisch geschickt ein. Zum Glück für die Täter hatte die Frau wohl direkten Zugriff auf die Wertsachen – kein Bankangestellter, der womöglich hätte Verdacht schöpfen können.

Eine halbe Million ist nicht einmal die größte Beute

„Gegen 13.30 Uhr hat die Geschädigte ihre Wertsachen einem Abholer übergeben“, sagt Polizeisprecherin Emily-Ann Böer. Die Täterbeschreibung des angeblichen Beamten: 20 bis 25 Jahre alt, hager, Stoppelhaare.

Mit dem Beutewert stoßen die Täter in ungewöhnlich hohe Dimensionen vor. Denn im Durchschnitt haben die Trickbetrüger im Jahr 2021 knapp 36 000 Euro pro erfolgreichem Fall erbeutet. Allerdings hat es in der Vergangenheit auch schon höhere Summen gegeben. Im Herbst 2021 beispielsweise verlor ein Senior bei mehreren Übergaben über mehrere Wochen insgesamt 800 000 Euro, ehe die Masche der Betrüger aufflog.

Im August vergangenen Jahres übergab eine Stuttgarter Seniorin 200 000 Euro – und hätte am Folgetag weitere 150 000 Euro übergeben, wäre ein Bankangestellter nicht misstrauisch geworden. Richtig Glück hatte ein Senior im Rems-Murr-Kreis, der schon 400 000 Euro abgehoben hatte – als sein echter Sohn das Schlimmste verhinderte.

Es gibt auch junge Opfer

Dabei hängt die Arglosigkeit der Opfer nicht unbedingt nur mit dem hohen Alter zusammen. Am Montag beispielsweise gaukelte ein angeblicher „Police Officer“ seinem Opfer in Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg) am Telefon vor, dass auf seinen Namen Bankkonten für Geldwäscheaktionen im Ausland eröffnet worden seien. Um eine Haftstrafe zu vermeiden, solle er Kautionen überweisen. Auf diese Weise erbeuteten die Betrüger 10 000 Euro. Das Opfer ist erst 24.