Die Telefonseelsorge in Stuttgart bekommt vermehrt Anrufe, die das Coronavirus zum Thema haben. Inzwischen drehe sich jedes zweite Telefonat um die Pandemie.

Stuttgart - Die Angst vor Corona lässt mehr Menschen bei der Telefonseelsorge anrufen. Inzwischen habe jedes zweite Seelsorgegespräch auch das Virus zum Thema, sagte Bernd Müller, Kommissarischer Leiter der Katholischen Telefonseelsorge in Stuttgart, am Montag in Stuttgart. Die öffentlichen Schutzmaßnahmen machten es schwierig, das Seelsorgeangebot aufrechtzuerhalten, da unter den ehrenamtlichen Beratern viele Senioren seien, die sich derzeit nur ungern in öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg zum Seelsorgetelefon machten.

 

Martina Rudolph-Zeller, Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge in Stuttgart, sagte, die Krankheit sei insbesondere für alleinstehende Menschen mit Ängsten ein Problem. „Alleinzubleiben mit dem bedrohlichen Gefühl einer möglichen Ansteckung, ist fast nicht auszuhalten“, betonte sie. Sie rechne in den kommenden Wochen mit zusätzlichen Belastungen, etwa Paarkrisen, wenn beide Partner zu Hause bleiben müssten, oder Erziehungsprobleme, wenn die Kinder nicht mehr in die Schule dürften.

Müller wies auf weitere psychische Herausforderungen hin, wenn beispielsweise medizinische Eingriffe verschoben würden, Beerdigungen und damit eine gemeinsame Trauer nicht möglich seien oder wenn namentlich bekannte Infizierte in den Sozialen Medien heftig beschimpft würden. Die Telefonseelsorge stehe gleichzeitig vor dem Problem, ihre Ehrenamtlichen zu unterstützen, was schwierig sei, da alle Supervisionsgruppen abgesagt werden mussten.

Mehr Hass und Wut in den Gesprächen

Hauptthemen in Gesprächen der Telefonseelsorge sind der Statistik zufolge nach wie vor Einsamkeit (20 Prozent), depressive Stimmungen (20 Prozent) und Ängste (17 Prozent). Suizidgedanken spielten im vergangenen Jahr lediglich in knapp zwei Prozent der Telefonate eine Rolle. In Mails ging es zu 23 Prozent, im Internetchat zu gut 14 Prozent um Suizid.

Die Zahl der Anrufe ist 2019 mit 36.960 im Vergleich zum Vorjahr fast gleich geblieben. Bei den Chatberatungen sind die Kontakte von 932 auf 1.126 gestiegen. Die Telefonseelsorge von katholischer und evangelischer Kirche in Stuttgart hat 183 ehrenamtliche und vier hauptamtliche Mitarbeiter. Sie ist rund um die Uhr kostenlos und anonym erreichbar.

Ein weiterer Trend ist den Leitern der Telefonseelsorge zufolge mehr Hass und Wut in den Gesprächen. Der psychische Hintergrund sei oft Verbitterung, erläuterte Rudolph-Zeller. Die Berater positionierten sich klar gegen menschenfeindliche Aussagen, blieben aber offen für den Dialog.

Dabei stelle sich in vielen Fällen heraus, dass die Anrufenden eine schwere Lebensgeschichte hätten - etwa eigene Fluchterfahrungen oder einen Firmenbankrott. Müller ergänzte, die Seelsorger ließen sich empathisch auf diese Lebensschicksale ein. Das führe dazu, dass viele Anrufer ihr Verhalten änderten und nicht mehr mit Wut auf vermeintlich Schuldige losgingen.

In Zukunft muss die Telefonseelsorge ihr Internetangebot nach Müllers Überzeugung erheblich ausbauen. Während unter den Anrufern 82 Prozent älter als 40 Jahre seien, dominierten im Internetchat die unter 40-Jährigen mit 85 Prozent. „Wir müssen im Chat deutlich mehr präsent sein“, unterstrich Müller.