Mehr als 30 000 Mal haben Anrufer den Mitarbeitern der evangelischen und katholischen Telefonseelsorge ihr Leid geklagt. Manchmal ging es um respektlose Kinder, manchmal um Gewalt, bei einigen sogar um Leben und Tod.

Stuttgart - Vor allem nach 22 Uhr und nachts klingeln die Telefone, wenn Hilflosigkeit, Trauer oder Depressionen Menschen um den Schlaf bringen. 51 651 Anrufe sind im Jahr 2016 bei der Telefonseelsorge der evangelischen Kirche und bei der katholischen Anlaufstelle Ruf und Rat eingegangen. Das gaben deren Leiter, Krischan Johannsen und Pfarrer Thomas Krieg am Montag bei einer Pressekonferenz bekannt.

 

7000 Stunden lang liehen die 183 ehrenamtlichen und drei hauptamtlichen Berater den Anrufern ihr Ohr. „Wir müssen sie „ernstnehmen, wahrnehmen und beruhigen“, beschreibt Thomas Krieg, der Leiter von Ruf und Rat, die Aufgabe. Inzwischen bleibt dafür sogar mehr Zeit: zwei Minuten, um genau zu sein.

Unsinnige Anrufe verhindert

Ein neues kommunikationstechnisches Verfahren verschafft der kirchlich und kommunal finanzierten Einrichtung und den Telefonseelsorgern mehr Luft. Wer mit seinem Mobiltelefon von außerhalb Baden-Württembergs anruft, wird automatisch an eine Seelsorgenummer in seinem Bundesland weitergeleitet. Und wer kurz nach dem ersten Mal noch einmal anruft, wird automatisch an seinen ersten Gesprächspartner verwiesen. „Das waren Anrufer, die versuchten, mit einer zweiten Person zu reden“, sagt Thomas Krieg. Jetzt werde dieses Hopping verhindert und „wir haben mehr Zeit für die Anrufer“.

Mehr als 50 000 Mal hat das Telefon geklingelt, 33 454 Gespräche sind zustande gekommen, drei Prozent mehr als im Vorjahr. Bei sechs Prozent der Kontakte hat es sich um Menschen mit Suizidabsicht gehandelt. „Unsere Wirkung ist nicht messbar, aber in der Regel sehen die Anrufer zumindest zunächst von einer Selbsttötung ab“, sagt Krischan Johannsen von der evangelischen Telefonseelsorge.

Erziehungsfragen sind schwierig

In höchster seelischer Not riefen auch Menschen an, die schrecklich wütend sind, weil sie sich bei der Arbeit ungerechtfertigter Kritik und schlechter Behandlung ausgesetzt sehen. Mütter, die nicht (mehr) zu ihren Kindern durchdringen oder sich von ihnen vernachlässigt fühlen. Frauen, die seelischer oder körperlicher Gewalt ausgesetzt sind und nicht wissen, wie sie sich dem entziehen können – die Seelsorger aber können auf Hilfen verweisen. „Bei Eltern mit einem überhöhten Bild von ihrem Kind scheitern wir oft“, sagt die ehrenamtliche Helferin Sabine Schmidt (Name geändert).

Drei Viertel der Anrufer sind 40 Jahre und älter, jüngere Ratsuchende unter 30 Jahren wählen die Unterredungsform, die für sie zum Alltag gehört: den Chat. Beide Telefonseelsorge-Einheiten bieten diese Einzelberatung an, die unter https://Chat.telefonseelsorge.org mit einem Vorlauf von bis zu drei Tagen gebucht werden kann. Viele Ehrenamtliche würden sich auch spontan einloggen und Gesprächszeit bieten.

Beim Chat kommt das Wesentliche gleich auf den Tisch

„Ich hatte anfangs Zweifel, ob auf diese Weise eine empathische Verbindung überhaupt funktioniert“, sagt der Ehrenamtliche Michael Müller (Name geändert). Inzwischen ist er von Chats überzeugt: „Die Probleme kommen sofort auf den Tisch, es werden keine Belanglosigkeiten ausgetauscht, die Zeitvorgabe von 45 Minuten erzeugt ja Druck, zum Thema zu kommen.“ Um die richtigen Worte zu finden in einer Sprache, die den jungen Leuten entspricht, werden Chat-Berater zusätzlich zu ihrer Ausbildung rund 60 Stunden für die Unterhaltung am Computer geschult.

Krischan Johannsen hat eine Auswertung des Telefonanbieters mitgebracht. Demnach sind insbesondere zwischen 17 und 24 Uhr und am Wochenende nicht genügend Leitungen frei, um alle Anrufe entgegen nehmen zu können. „Selbst in der Mittagspause zwischen 12 und 14 Uhr reicht es nicht“, so Thomas Krieg. Um so mehr sind neue Mitarbeiter gefragt, die zur fraglichen Zeit Zeit haben, sich unter 0800 1 11 01 11 (evangelisch) oder 0800 1 11 02 22 (katholisch) zu melden und das Gespräch anzubieten.