Der Arzt Jörg Meinshausen aus Stuttgart-Sillenbuch ist Telemediziner und berät Patienten im Rahmen eines Pilotprojekts auch online. Er hat Kollegen, die sehen das hingegen durchaus kritisch.

Digital Desk: Felix Frey (fog)

Sillenbuch - Die Privatpraxis von Jörg Meinshausen befindet sich unauffällig im Erdgeschoss eines Wohnhauses. Sie ist klein, denn der 66-Jährige betrachtet seine Arbeit inzwischen mehr denn je als Vergnügen. Er empfängt viel weniger Patienten in seiner Praxis als früher. Die Zeiten als Oberarzt in einer großen Klinik sind vorbei.

 

Dafür widmet sich Meinshausen jetzt der Telemedizin. Er berät Patienten per Videochat. Damit ist er Teil eines Pilotprojekts in Baden-Württemberg, für das die Landesärztekammer ihre Berufsordnung geändert hat. Denn eigentlich darf ein Arzt nicht ausschließlich über Telekommunikation arbeiten. Für das Forschungsprojekt wurde 2017 eine Ausnahme gemacht.

Der Arzt kann zwar die Lunge nicht abhören

Telemedizin gab es auch früher, es hieß nur anders“, erklärt Meinshausen. „Wir haben natürlich früher auch mit den Patienten telefoniert, wenn sie Beschwerden hatten.“ Neu sei lediglich, dass man den Menschen nicht mehr persönlich gesehen haben muss. Das, so hofft der Mediziner, könnte in Zukunft auch die Notaufnahmen entlasten. „Mit dem Videochat haben wir Ärzte zwei wichtige Hebel bekommen. Wir können im Sinne der Patienten beschleunigen und bremsen.“ Der Arzt kann zwar die Lunge nicht abhören und auch kein EKG machen, er kann aber anhand der beschriebenen Symptome einordnen, was zu tun ist. „Mit gezielten Fragen schnell herausfinden, was dem Patienten fehlt“ – so beschreibt Meinshausen den Reiz an der Telemedizin.

Da die Anfrage des Patienten per Smartphone-App an verschiedene Ärzte gleichzeitig geht, kommt ein Patient schneller in eine virtuelle Sprechstunde und kann im Notfall rascher an den entsprechenden Spezialisten verwiesen werden. „Stellen Sie sich vor, Sie müssten warten, bis Ihr Hausarzt am Montag wieder öffnet. Da sitzen Sie erst noch im Wartezimmer, auch wenn sie vielleicht schnell behandelt werden müssten“, erklärt der Arzt. Trotzdem könne die Telekommunikation nur ein Teil der Medizin sein, betont er. „Das sollten nur Ärzte machen, die vorher reichlich Erfahrung im persönlichen Patientenkontakt vor Ort gemacht haben.“ Nach einem Vormittag voller Fernberatung sei auch ihm ein richtiger Mensch mal lieb, sagt er, als sein Mobiltelefon piept. „Sehen Sie, da ist schon eine Terminanfrage.“ Zu langsam. Ein Kollege aus Tübingen schnappt ihm den Termin vor der Nase weg. „Zu Beginn hat meine Frau noch gesagt: ,Lauf, du hast einen Fall.‘ Jetzt schalte ich das Telefon beim Frühstück stumm, das Piepen nervt ja auch irgendwann.“

Die Kritik: Man könne nur beraten, nicht behandeln

Die Technik für all das stellt die Firma TeleClinic aus München ihm zur Verfügung. Vermittlung, Rechnungsabwicklung – alles aus einer Hand. „Ein Teil meiner Einnahmen geht dafür auch an die TeleClinic.“ Und der Umgang mit moderner Technik im fortgeschrittenen Alter? Da habe er großes Glück mit seinen hilfsbereiten Kollegen gehabt. „Die haben mich damals in der Gemeinschaftspraxis mitgezogen, was den Umgang mit der IT angeht.“ Andere Ärzte seien kritischer. Man könne ja mit dem Videochat nur beraten, nicht behandeln. Und mit Beratung verdiene man weniger Geld. Zumal manche Ärzte es als zwingend erachten würden, dem Patienten direkt gegenüber zu sitzen.

Aller Kritik zum Trotz: Für ein Rezept möchte niemand im Wartezimmer Platz nehmen. Das soll künftig schneller gehen. Der Patient kann sein Rezept vom Arzt übers Internet an eine Apotheke schicken lassen und dort die Medikamente abholen. Die Telemedizin könnte auch dem Rückgang der niedergelassenen Ärzte entgegenwirken. Das Alter der Patienten ist gemischt, die Technik kaum ein Hindernis: „Ich hatte schon 80-Jährige im Videochat.“