Am Mittwoch meldet eine Wetterstation in Bad Mergentheim die angeblich höchste je gemessene Temperatur in Baden-Württemberg. Doch an dem Wert gibt es Zweifel.

Digital Desk: Simon Koenigsdorff (sko)

Ein Hitzerekord ist in Zeiten der Klimakrise kein Grund zum Feiern. Trotzdem – oder gerade deswegen – blickten in den vergangenen Tagen viele gebannt auf die Höchstwerte der amtlichen Wetterstationen. Und nach erstmals in der Geschichte gemessenen 40 Grad in Großbritannien zu Wochenbeginn fielen auch in Deutschland am Mittwoch Hitzerekorde in mehreren Bundesländern.

 

Nach vorläufigen Daten gehört auch Baden-Württemberg dazu: Eine Station des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Bad Mergentheim-Neunkirchen meldete gegen 15.30 Uhr eine Temperatur von 40,3 Grad – und damit 0,1 Grad mehr als die bisherigen Rekordwerte aus den Jahren 2003 und 2015. Doch kaum hatte der Twitter-Account des DWD die Messung verkündet, kamen bereits erste Zweifel auf. Mehrere Twitter-Nutzer wandten ein, der Wert sei womöglich verfälscht und zu heiß ausgefallen.

Kritik an ehrenamtlich betriebener Wetterstation

Denn: Um vergleichbare Messungen zu erhalten, die repräsentativ für ihre Gegend stehen und internationalen Standards genügen, müssen Stationen des DWD bestimmte Bedingungen erfüllen. Sie brauchen zum Beispiel ausreichend Platz rund um den Temperaturfühler, müssen vor direkter Sonnenstrahlung geschützt sein und dürfen nicht über Beton oder anderen Flächen stehen, die sich stark aufheizen.

Die Kriterien seien hier jedoch nicht eingehalten, so die Kritik: Im Internetforum „Wetterzentrale“, einer Diskussionsplattform für Hobby-Meteorologen, hatte im vergangenen Sommer ein Nutzer nach einem Vor-Ort-Besuch den Vorwurf erhoben, die Umgebung der Station verfälsche mutmaßlich die Messwerte nach oben.

Zu sehen sind dort Fotos der Messstation neben einem Wohnhaus, der Zaun des Messfelds eingewachsen von Büschen und Bäumen. Direkt daneben zeigen die Fotos einen Holzstapel, abgedeckt mit einer schwarzen Plane. Das könne den Luftaustausch behindern und die Umgebung zu stark aufheizen.

Das sagt der DWD

Könnte der neue Hitzerekord für Baden-Württemberg im Nachhinein also noch hinfällig werden? Andreas Friedrich, Pressesprecher des DWD, betont: Die Messwerte von gestern seien noch vorläufig und ungeprüft, man kontrolliere nun auch im Vergleich zu Nachbarstationen, ob der Wert stimme. „Es handelt sich um eine ehrenamtlich betreute Station, bei der wir nicht – im Unterschied zu unseren hauptamtlichen Stationen – jeden Tag die Umgebung kontrollieren können.“

Die Vorwürfe aus dem Internetforum seien dem DWD bekannt, stammten jedoch von 2021. „Wie die Umgebung dieses Jahr dort ist, wird jetzt überprüft“, erklärt Friedrich. „Wenn wir feststellen sollten, dass Messungen verfälscht worden sein könnten, ist es auch möglich, dass wir die Daten nachträglich korrigieren.“

DWD musste frühere Rekorde bereits korrigieren

Die automatischen Qualitätskontrollen, die die Messwerte des DWD täglich durchlaufen, hätten ergeben, dass zumindest kein technischer Fehler am Sensor vorliege. Theoretisch sei es möglich, dass Umgebungsfaktoren wie zum Beispiel der Holzstapel die Temperaturmessung beeinflussen – sofern er überhaupt noch an Ort und Stelle ist. Eine Entscheidung über den aktuellen Rekord stehe noch aus, so Friedrich.

Tatsächlich musste der DWD im Jahr 2019 schon einmal eine bundesweite Rekordtemperatur nachträglich einkassieren. Damals hatte die Station Lingen im Emsland eine Temperatur von 42,6 Grad gemeldet – doch später stellte sich heraus, dass zu viel Vegetation neben der Station gewachsen war, sodass der Wind teilweise die Luft um die Station herum nicht wie normal austauschen konnte. Dadurch war die Temperatur nach oben verfälscht worden.

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Für unser Projekt nutzen wir zwölf Wetterstationen des Deutschen Wetterdienstes sowie je eine der Stadt Stuttgart in der Innenstadt und der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg in Stuttgart-Bad Cannstatt. Die beiden letzteren werden nicht nach DWD-Standards betrieben und fließen deshalb zum Beispiel nicht in offizielle Rekord-Statistiken ein, kommen der Situation in der Stuttgarter Innenstadt aber näher als die außen gelegenen DWD-Stationen auf dem Schnarrenberg und am Flughafen.