In der französischen Hauptstadt gilt nun größtenteils Tempo 30. Ziel sind weniger Lärm und weniger Unfälle – und mehr Platz für Fahrradfahrer

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - In der Avenue de Friedland rauscht wie jeden Morgen der Berufsverkehr. Sie ist eine von zwölf Straßen in Paris, die sternförmig vom Place Charles-de-Gaulle abgehen. Autos und die in der französischen Hauptstadt beliebten Motorroller brausen über das Kopfsteinpflaster – bei den Fahrern scheint es sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass seit Montag im gesamten Stadtgebiet Tempo 30 gilt. Nur die Stadtautobahn rund um das Zentrum und einige wichtige Verkehrsachsen wie die Champs-Élysées bleiben von der Regelung ausgenommen. Dasselbe Bild bietet sich in anderen Straßen der Metropole. An einer roten Ampel stürzt sich ein TV-Team auf einen wartenden Fahrer und fragt ihn nach seinem ersten Eindruck. „Ça roule“, erwidert der Mann gelassen. „Läuft!“ Der von einigen Beobachtern prophezeite Verkehrskollaps ist am ersten Tag ausgeblieben.

 

Tempo 30 kommt nicht überraschend

Tempo 30 kommt allerdings nicht überraschend. Im Wahlkampf hatte die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo offensiv damit geworben, den Verkehr in Paris weiter einzudämmen und traf damit den Nerv der Einwohner. Die 61-Jährige wurde 2020 mit deutlichem Vorsprung wiedergewählt. Im Fall von Tempo 30 war die Gefahr des Scheiterns ziemlich gering. Bei Befragungen hatte sich eine deutliche Mehrheit der Pariser für die Maßnahme ausgesprochen, zudem gilt in über 60 Prozent der Straßen in der Innenstadt bereits eine Geschwindigkeitsbeschränkung. Zum anderen hätten nach Angaben der Stadtverwaltung zahlreiche Versuche gezeigt, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit der Autos in Paris wegen des dichten Verkehrs im Moment bei gerade einmal 14 Kilometern pro Stunde liege.

„Der Hauptgrund für Tempo 30 ist die Sicherheit“, unterstreicht David Belliard, im Pariser Rathaus zuständig für Umgestaltung des öffentlichen Raums und Mobilität. „Die meisten tödlichen oder schweren Unfälle werden durch Autos oder Motorräder verursacht.“ Jedes Jahr würden 18 Fußgänger Opfer von solchen tödlichen Unfällen. „Das Todesrisiko ist bei einem Unfall mit Tempo 30 neun Mal geringer als bei Tempo 50 und die Verletzungen sind weniger gravierend“, heißt es in einer Erklärung der Stadtverwaltung.

Mehr Lebensqualität für die Menschen

Die Geschwindigkeitsbegrenzung habe auch direkte Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen, denn der Lärm werde deutlich reduziert. „Eine Absenkung von Tempo 50 auf 30 reduziert den Lärmpegel effektiv zwar nur um drei Dezibel,“ erklärt Belliard, für die Anwohner fühle es sich aber an, als sei der Lärm halbiert worden. Keine Rolle gespielt hat bei der Entscheidung die Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Der ist nach Angaben der Stadtverwaltung bei beiden Geschwindigkeiten etwa gleich.

Das neue Tempolimit ist allerdings nur eine von vielen Maßnahmen, um das Leben in der französischen Millionenmetropole erträglicher zu machen. Vorangetrieben wird etwa der Ausbau des Radwegenetzes. Über 50 Kilometer provisorischer Radwege, die während der Corona-Pandemie mit Betonblöcken von den Autospuren abgetrennt wurden, die sogenannten Coronapistes, werden im Moment in dauerhafte Radfahrstreifen umgewandelt. Gleichzeitig wird die Zahl der Parkplätze drastisch reduziert und Stellplätze für Fahrräder werden ausgebaut. In anderen Straßen oder an Plätzen müssen die Autos komplett den Fußgängern weichen, öffentliche Begegnungsflächen werden geschaffen, Bäume gepflanzt und Gartenflächen angelegt. Zudem wird bei schlechter Luft der Verkehr in Paris drastisch eingeschränkt, Schadstoff-Plaketten für Autos sind Pflicht. All das sind Puzzleteile eines im Jahr 2018 vorgelegten Planes, in dem die Bürgermeisterin den Parisern ein besseres Leben mit mehr Grün, 1000 Kilometern Radwegen und neue Straßenbahnlinien versprach.

Vorbild sind andere Städte in Frankreich

In Paris sind allerdings keine Pioniere am Werk. Bei der Entscheidung für ein flächendeckendes Tempo 30 konnten sich die Verantwortlichen an der Seine an anderen französischen Städten wie Rennes, Nantes oder Lille orientieren. Die meisten Erkenntnisse stammen allerdings aus Grenoble, wo bereits 2016 eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt wurde und fast durchweg positive Effekte zu beobachten sind. Zum Stadtbild gehören dort inzwischen die allgegenwärtigen Radfahrer. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in Paris zu beobachten. Die Rue de Rivoli, die quer durch das Stadtzentrum führt, wurde während der Corona-Pandemie für den Durchgangsverkehr gesperrt und zur Radstraße umgebaut. Eines hat sich dadurch allerdings nicht geändert, denn zur Hauptverkehrszeit gibt es dort noch immer elendiglich lange Staus – allerdings warten nun geduldig hunderte Fahrradfahrer an den Ampeln.