Genau zwischen Stöckach und Raitelsberg startet die Stadt im Stuttgarter Osten das Pilotprojekt „Temporäre Spielstraße“. Drei Stunden lang durften die Kinder dort rennen, radeln und tollen – ohne von Autos gestört zu werden.

Stuttgart-Ost - Spielende Kinder mitten auf der Straße? Da gehen alle Alarmglocken los! Normalerweise. In der Obernitzstraße aber lockt Kinderlärm und sonst gar nichts. Und kein Auto hupt und schreckt auf! Zudem keine einzige parkende Karosse weit und breit. Es ist allerdings auch eine sehr besondere Situation: Zum ersten Mal in Stuttgart wird hier eine Straße gesperrt und für drei Stunden ganz den Kindern überlassen nach dem Motto: „Bahn frei! Jetzt wird gespielt.“ Es ist der Auftakt des Pilotprojektes „temporäre Spielstraße“, mit der die Stadt Kindern auch in andern Bezirken Gelegenheit geben will, wenigstens zeitweise den Straßenraum für sich zurück zu erobern.

 

Mit Karacho über die Straße

Aboud und Saleh nutzen die Gelegenheit schon weit vor der offiziellen Eröffnung. Trotz brütender Mittagshitze. Mit den Racern von Mobifant, dem Spielmobil der städtischen Jugendhausgesellschaft, düsen sie mit Karacho die sanft abfallende Straße rauf und runter, mit neongrünen Wasserpistolen bewaffnet: „Hände hoch! Wir sind die neue Polizei!“ Ein Gag, der auch zwei Frauen aus ihrer Wohnung kommende Frau amüsiert. Sie schauen sich um und gehen zum Schattenzelt des Mobifant-Teams: „Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie es uns. Wir helfen gerne!“

Begehrt ist auch der Schattenplatz am unteren Ende der Straße, wo bald ordentlich was los sein wird: ein Treffpunkt für die Erwachsenen, zum Plauschen und Genießen. Denn hier gibt es vom Familienzentrum gespendeten Kuchen. Den Stand betreuen zwei gut gelaunte Frauen von der nahen Heilandskirche, die auch den Kaffee mitgebracht haben. Auf der Straße herrscht auch dank der vielen Spiel- und Bewegungsgeräte schnell Vollbetrieb. Wann hier zum letzten Mal Kinder die Straße mit Malkreiden bunt gemacht haben? Keiner kann es sagen, aber alle sind bezaubert von der Hingabe, mit der eine Handvoll Mädchen die Chance beim Schopfe packt.

Auch Ibrahim Özen, dessen Töchter sich irgendwo mitten im bunten Treiben befinden, ist fasziniert: „Viel besser als Autos, die mitten in der Nacht herumhupen oder Moderräder die aufheulen! Ich könnte jetzt hochgehen, die Kinder spielen lassen, mal am Fenster kucken und wenn es Zeit zum Essen ist, die Kinder hereinrufen.“ Und der Papa, der mit seiner zweijährigen Tochter aus der Steubenstraße kommt, hat mit der Wasserpistole mindestens soviel Spaß wie das Töchterlein.

Wie früher auf dem Dorf

Die Raitelsbergschule hat die Spätbetreuung heute in die Straße verlegt, was die Betreuung zum Selbstläufer macht. Auch das Schülerhaus Ostheim ist mit 20 Kindern dabei, Betreuerin Isabelle Schneider ist ganz begeistert: „Die Kinder spielen, sind unterwegs und können sich frei bewegen. Man kann sie laufen lassen und schauen, wie sie Spaß haben. Das sollte man öfters machen!“ Auch die Bezirksvorsteherin Tatjana Strohmaier kommt vorbei geradelt – und sieht sich in ihre eigene Kindheit zurückversetzt: „Es ist einfach toll! Das hat Dorfcharakter. So bin ich ja selbst aufgewachsen! Die Eltern können ihre Kinder in einem sicheren Bereich auf die Straße lassen und ihre Kids regeln dann die Sachen unter sich. Meistens jedenfalls. Das temporär in einem konfliktarmen Umfeld zu machen, sei eine super Idee: „Ich habe auch von den Anwohnern nur positive Rückmeldungen. Man nimmt niemandem einen Parkplatz weg, und wenn die Anwohner nachher von der Arbeit kommen, gehört die Straße wieder ihnen.“

OB Kuhn kommt ganz schön ins Schwitzen

So sieht das auch OB Fritz Kuhn, der mit den Frisbee-Scheiben gefordert ist, die er mit gebracht hat. Cennet, 10, bringt das Stadtoberhaupt hübsch ins Schwitzen. Als ihr Bruder sie ablöst, sagt sie: „Der kann das gut!“ Wobei sie jetzt mal nicht ihren Bruder meint. Kuhn betrachtet das Treiben sichtlich zufrieden: „Kinder brauchen Freiräume, Platz zum Spielen und für Bewegung, und zwar am besten vor der Haustüre. Temporäre Spielstraßen können in dicht bebauten Stadtteilen eine kreative Lösung für eine kinderfreundliche Kommune sein. Dafür ist das hier genau der richtige Ort.“

Federführend ist Maria Haller-Kindler, die Kinderbeauftragte der Stadt: „Wie unglaublich viele Kinder hier fröhlich und friedlich beieinander sind!“, schwärmt sie, „und wie auch die Eltern und Anwohner zusammenkommen!“ Dann blickt sie in die Zukunft: „Ich hoffe sehr, dass wir vom Gemeinderat grünes Licht dafür bekommen, so etwas an vielen dafür geeigneten Stellen in der Stadt regelmäßig zu machen. Der Erfolg hier zum Start gibt ein richtiges Glücksgefühl.“