Nach ihrem Sieg gegen Simona Halep trifft die gereifte Angelique Kerber jetzt auf Venus Williams. Im könnte dann wie bei ihrem Erfolg bei den Australian Open Schwester Serena warten.

London - Michael Stich hatte an diesem sonnigen deutschen Tennis-Dienstag in einem ganz exklusiven Centre-Court-Bereich Platz genommen. Seit seinem triumphalen Sieg vor 25 Jahren gegen Boris Becker ist der Schlaks aus Elmshorn auf Lebenszeit Mitglied im All England Lawn Tennis Club, und genau dort, in der „Members Loge“ thronte Stich in der ersten Reihe. Und hatte damit einen exklusiven Blick auf eine Landsfrau, die vielleicht schon bald der goldenen deutschen Generation auf den Königsthron und in die Mitgliedersektion folgen kann: Mit leidenschaftlichen Kampfeswillen und Nervenstärke zog Angelique Kerber zum zweiten Mal in ihrer turbulenten Karriere ins Halbfinale der Offenen Englischen Meisterschaften ein, 7:5 und 7:6 (7:2) lautete das Ergebnis einer Achterbahnfahrt gegen die Rumänin Simona Halep.

 

„Die Reise hier ist noch nicht zu Ende“, sagte Kerber angriffslustig nach einer Partie, die sie trotz serienweise ausgelassener Großchancen noch mit einem Happy-End abschloss. Und Stich, der Sensationsmann von 1991, brachte trocken auf den Punkt, was wichtig war und zählte: „Wie du so ein Ding gewonnen hast, interessiert am nächsten Tag keinen mehr“, befand der Ex-Champion, „jetzt ist alles möglich für Angie.“  

Womöglich muss es die deutsche Frontfrau nun zum Schlag in die Wimbledon-Unsterblichkeit mit der ganzen Williams-Familie aufnehmen. Das Halbfinale mit Venus Williams ist bereits perfekt für Donnerstag, bestenfalls könnte es dann im Finale auch noch zum Wiedersehen mit Serena kommen, der Titelverteidigerin. „Ich fühle mich gerüstet für das, was kommt“, sagte Kerber, die vier der bisherigen sechs Partien gegen die 36-jährige Venus gewonnen hat.

Einmal begegneten sie sich sogar schon auf Rasen, das war 2012 in Wimbledon, aber bei den Olympischen Spielen, Kerber siegte in zwei Tiebreak-Sätzen im Achtelfinale. „Kerber ist eine der härtesten Wettkämpferinnen da draußen. Sie hat eine starke Entwicklung als Spielerin hinter sich“, sagte die fünfmalige Wimbledon-Gewinnerin, „ich will das aber jetzt ins Finale durchziehen.“

Der „Melbourne-Modus“

Die Amerikanerin hatte zuletzt 2008 im Schwesternduell mit Serena die Rasenmeisterschaft gewonnen.   Auch Kerber ist kein Neuling in den letzten Runden im All England Club. 2012 hatte sich die Weltranglistenvierte schon einmal ins Halbfinale vorgespielt, war dann aber gegen die Polin Agnieszak Radwanska in jeder Beziehung überfordert gewesen – von der Größe des Moments und von der Stärke ihrer Rivalin.

Vier Jahre später wirkt die gereifte, spielerisch und mental gewachsene Kerber bereit, auch die letzten Schritte zum ultimativen Grand-Slam-Glück zu gehen: An jenem Standort, der gerade für Tennis-Deutschland mehr als jeder andere zählt, der die Karrieren von Boris Becker, Steffi Graf und Michael Stich definierte. „Angie hat das klasse gemacht heute. Es war ein knochenhartes Match, ein Nervenspiel“, sagte Bundestrainerin Barbara Rittner, „als es zählte, hat sie die nötigen Treffer gesetzt.“

Und damit war auch schon ein wichtiger Fortschritt bei der deutschen Nummer eins beschrieben, die sich anders als in früheren Karrierejahren das Beste bei ihren Tennismissionen für den Schluss aufhebt, für den aufreibenden Zielspurt auch bei Grand- Slam-Turnieren. „Du musst mit aller Kraft und Konzentration da sein, wenn es in der zweiten Grand Slam-Woche um alles geht“, sagte die ehemalige amerikanische Weltranglisten-Erste Lindsay Davenport, „und genau das zeichnet Kerber jetzt aus.“

  Kerber selbst hatte das in den letzten Tagen schon einmal als „Melbourne-Modus“ bezeichnet, als Gemütsverfassung und Seelenlage wie beim Australian-Open-Triumphzug – und Trainer Torben Beltz konnte das nun, unter dem Eindruck des letzten Sieges, nur bestätigen: „Sie hat die Qualität, sich immer weiter zu steigern, mit der Größe der Aufgabe zu wachsen.“ Und auch die Ruhe zu behalten, wenn es verrückt zugeht in einem bedeutenden Match, so wie gegen Halep. Kerber gewann ruckzuck die beiden Auftaktspiele, doch danach kam es zu einem Breakfestival der ganz besonderen Art – nach acht Aufschlagverlusten beider Spielerinnen stand es 5:5, Kerber hatte beim 5:3 sogar schon zum Satzgewinn serviert. Das gelang ihr dann mit dem neunten Break doch noch zum 7:5.   Die Deutsche war die bessere Spielerin – und sie hatte auch im zweiten Satz das bessere Ende für sich.