Tennis, der saubere Sport? Bedingt. Der Bericht über verschobene Matches im Vorfeld der Australian Open wirkt auch auf das Porsche-Turnier in Stuttgart nach.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - Beim Zweitrundenmatch zwischen Ekatarina Makarova und Roberta Vinci am Mittwoch in der Porsche-Arena geht alles seinen gewohnten Gang. Die Spielerinnen geben keinen Ball verloren, am Ende setzt sich die favorisierte Italienerin in drei Sätzen durch. Wer beim Sportwettenanbieter Tipico zehn Euro auf das richtige Ergebnis gesetzt hat, bekommt 18 zurück.

 

Sonderlich viele werden es nicht gewesen sein. Dafür ist der Porsche Tennis Grand Prix nicht attraktiv genug – nicht attraktiv genug für Zocker, für die das Spiel mit der Filzkugel zum Millionenbusiness geworden ist. Ihr Geschäftsfeld sind eher die kleinen Turniere, Challenger- und Future-Events, die zweite und dritte Liga des Tennis. Dort, wo nicht die großen Preisgelder gezahlt werden und die Spieler froh sind, wenn sie ihre Spesen gedeckt bekommen. Das Modell ist so skurril, dass man es sich nicht ausdenken könnte: Gewettet wird nicht nur auf den Ausgang einer Partie, sondern auch darauf, wer den ersten Doppelfehler produziert. Oder auf den dritten Punkt im zweiten Aufschlagspiel. Oder darauf, wie viele Punkte in einem Tiebreak gespielt werden.

Erst in Führung gehen, dann abschenken

Verrückt? Ja. Die Praxis der Wettmafia ist nicht minder skurril. Noch bevor ein Punktgewinn offiziell als Livespielstand im Internet erscheint, übermittelt ihn ein Pate am Platzrand – mit Smartphone in der Hand und dem entscheidenden Zeitvorteil von wenigen Sekunden. Genug Zeit, um eine Wette zu platzieren – und zu kassieren. Die großen Summen gibt es aber erst zu verdienen, wenn auch die Protagonisten das schmutzige Spiel mitspielen. Ein Klassiker: Der favorisierte Spieler X gewinnt den ersten Satz und geht auch im zweiten Satz in Führung. Die Quoten auf den Außenseiter steigen – der richtige Zeitpunkt für den geschmierten Spieler einzubrechen. Ergebnis: Ein paar Zocker verdienen sich eine goldene Nase, der Verlierer auf dem Platz verdient mit – und zwar wesentlich mehr, als er an Preisgeld fürs Weiterkommen kassiert hätte.

„Auf Future-Level kann man vom Tennis nicht leben, von Challenger-Events kaum. Da ist der Anreiz groß, etwas Verbotenes zu tun“, sagt der deutsche Doppelspezialist Frank Moser im Interview mit dem „Tennis- Magazin“. Aktuelle Zahlen gereichen dem Sport nicht zur Ehre: So zählte die European Sports Security Association vor drei Jahren 46 Verdachtsfälle, 2015 waren es schon 246. Drei Viertel aller Alarm-Wetten im Sport entfielen auf Tennis – weit vor dem Fußball.

„Bei uns wird nichts verschoben“

Was das nun mit dem Tennis Grand Prix in Stuttgart zu tun hat? Glaubt man Turnierdirektor Markus Günthardt, gar nichts. „Ich bin mir sicher, dass bei unserem Turnier nichts verschoben wird“, sagt Günthardt. Nicht wegen „ein paar Tausend Dollar“ und nicht bei der Aussicht auf den Hauptpreis, einen Porsche plus 104 477 Euro Preisgeld. Allein das Erreichen der zweiten Runde bringt Angélique Kerber und Co. 8590 Euro. Dennoch sind die Verantwortlichen auch bei einem Turnier dieser Güteklasse wachsam. Schilder weisen darauf hin, dass das Verbreiten von Spielständen verboten ist. Auch die „fortwährende Nutzung“ von Laptops auf der Tribüne wird geahndet. Dafür sind eigens Beobachter unterwegs.

Nur: Wie ist dann der Bericht über verschobene Matches auch auf höchster Profiebene zu erklären, der vor den Australian Open für Aufregung sorgte, im allgemeinen Kerber-Hype dann aber wieder in Vergessenheit geriet? Demnach sollen auch Topspieler schon einmal die eine oder andere Vorhand absichtlich ins Aus gespielt haben.

Utopie der gerechteren Preisgeldverteilung

Fehlende weiterführende Beweise (und Namen) lassen Turnierdirektor Günthardt aber weiter an einer weißen Weste für den Weißen Sport glauben. „Bis heute sind keine Fakten aufgetaucht. Deshalb glaube ich das keine Sekunde“, zeigt sich Günthardt verärgert über die rufschädigende Wirkung des Berichts. Auch die Weltranglisten-Sechste, Simona Halep aus Rumänien, glaubt nicht an Schummeleien im Spitzensegment. „Ich denke, die WTA (Welttennisverband der Damen; d. Red.) unternimmt alles, dies zu verhindern. Wir Spielerinnen sind angehalten, Verdächtiges sofort zu melden.“

Die Zockerei ein, zwei Etagen tiefer will Günthardt aber nicht anzweifeln. „Davor kann niemand die Augen verschließen.“ Droht nach dem Dopingskandal um Superstar Maria Scharapowa damit ein weiterer dunkler Schatten aufs Tennis zu fallen? „Wir sind alle gefordert, dafür zu sorgen, dass es nicht so weit kommt“, sagt der Ex-Profi..

Nur wie, ist die Frage. Gegen die häufig in Asien operierenden Wettbanden ist politisch wie juristisch kein Kraut gewachsen. Die Tennisverbände müssen sich dem Problem selbst stellen. Eine Forderung zielt auf eine gleichmäßigere Verteilung der Preisgelder. Mehr als die Hälfte aller Gagen kassieren die Top 50 der Branche. Würden mehr von diesem Kuchen profitieren und besser von ihrem Sport leben können, gäbe es auch weniger Anfälligkeit für krumme Geschäfte, so die Theorie. Stuttgarts Turniermacher hält diesen Vorschlag für Utopie. Das hieße ja, dass bei den großen Turnieren künftig weniger Preisgeld bezahlt werden müsste. Günthardt: „Das wäre das erste Mal in der Geschichte des Sports.“