Laura Siegemund hat nach einer Verletzung schwierige Zeiten hinter sich. Jetzt ist sie wieder da – und besiegt bei den Australian Open eindrucksvoll Viktoria Azarenka.

Melbourne - Es ist noch gar nicht lange her, da war Laura Siegemund (30) einmal die große deutsche Tennis-Hoffnung. Im Frühling 2017 grüßte Siegemund gerade als stolze Siegerin des Stuttgarter Porsche Cup, während Angelique Kerber tief in der Krise steckte nach ihrem Jubeljahr zuvor. Siegemund galt, keineswegs nur klammheimlich, sogar als Mitfavoritin für die French Open – und überhaupt als Spielerin mit goßem Potenzial. Doch dann, in einem verhängnisvollen Moment, war erst einmal alles vorbei.

 

Beim zweiten deutschen WTA-Wettbewerb in Nürnberg erlitt Siegesmund einen Kreuzbandriss, die Hoffnungen auf einen großen Paris-Auftritt und damit einen weiteren Vormarsch in der Tennis-Hitparade, lösten sich in Schmerz und Tränen auf: „Es war, als ob du von Wolke sieben mittenrein in die Hölle geschleudert wirst“, sagt Siegemund, „es war in jedem Fall der schlimmste Moment meines Lebens im Profisport.“

292 Tage brauchte Siegemund, bis sie nach dem Verletzungshorror wieder auf einem Tennisplatz stehen konnte, bei einem Turnier der dritten Liga in Italien. 2018 war kein leichtes Jahr für die drahtige Schwäbin, immer wieder erlebte sie Rückschläge, immer wieder wurde ihr bewusst, „wie steinig dieser Weg zurück in Wahrheit ist – und zwar härter als erwartet.“ Aufgeben allerdings liegt nicht in der Natur von Siegemund, einer Spielerin, der in jungen Jahren schon einmal das Etikett der „Erbin von Steffi Graf“ aufgedrückt wurde. „Gelassenheit und Geduld sind nicht gerade meine größten Stärken, aber ich habe mir doch die nötige Zeit bei meinem Comeback gegeben“, sagt Siegemund.

Nichts wirft sie aus der Bahn

Was vielleicht auch dazu geführt hat, dass sie nun, bei den Australian Open, ihren bemerkenswertesten Sieg seit der Rückkehr ins Profigeschäft feiern konnte. In ihrer Paraderolle als leidenschaftliche, unberechenbare Kämpferin jedenfalls siegte sie am Dienstagmittag mit 6:7 (5:7), 6:4 und 6:2 gegen die frühere Weltranglisten-Erste Viktoria Azarenka. Es war ein Sieg zur Selbstvergewisserung, ein Sieg fürs Selbstbewusstsein, ein Sieg zur Bestätigung, „dass es sich lohnt, zu kämpfen, auch wenn es manchmal aussichtslos scheint.“ Nichts konnte Siegemund, aktuell die Nummer 110 der Tennischarts, in diesem hitzigen Duell entscheidend aus der Bahn werfen: nicht der unglücklich verlorene Tiebreak in Satz eins, nicht die Breakrückstände in den beiden anderen Durchgängen. „Es gibt nicht viele, die so einen Fight hinlegen können“, befand Barbara Rittner, die langjährige Fed-Cup-Chefin und jetzige DTB-Abteilungsleiterin fürs deutsche Frauentennis. Siegemund sei eine, so Rittner, die eben auch „mal das Unmögliche möglich macht.“

Kürzlich hat sich Siegemund mal über eine Episode aus ihrem längeren Patientinnen-Dasein amüsiert. 2017 verbrachte sie nach ihrem Umzug nach Stuttgart längere Zeit daheim, an Weltreisen als Berufsspielerin war nicht zu denken. 2018 änderte sich das allmählich wieder, Siegemund war viel unterwegs, so viel, dass eine Nachbarin sie beim Zwischenstopp in Stuttgart fragte, ob sie denn „überhaupt noch hier wohne“.

Ein paar Jahre wird noch mitgemischt

Inzwischen ist die energiegeladene Schwäbin wieder regelmäßig auf Tour, sie will auch noch einige Jährchen weitermachen, länger als gedacht sogar. „Mit Mitte Zwanzig war der Plan, mit 32 aufzuhören. Aber ich fühle mich gut genug, über diesen Punkt hinaus zu spielen. Auch ein paar Jahre vielleicht nur noch im Doppel.“

Sie wird noch einige mehr oder weniger prominente Kolleginnen ärgern, sie hat stets das Potenzial für den verblüffenden Moment und für den Favoritinnensturz. „Ihr Spiel ist so giftig, dass man ihr am liebsten immer aus dem Weg gehen würde. Und sie gibt nicht einen einzigen Punkt verloren, nie, absolut nie“, sagt Rittner, „manche Nachwuchsspielerin kann sich da eine Scheibe abschneiden.“

Laura Siegemund könnte auch schon für das Fed-Cup-Spiel der Deutschen gegen Weißrußland eine Option sein, kurz nach den Australian Open, schließlich drängen sich hinter den fehlenden Topkräften Kerber und Görges keine Alternativen auf. Siegemund würde sich freuen über einen Einsatz, und auch in diesem Nationenduell würde sie ihrer neuen Maxime folgen wollen, wonach in der Ruhe die Kraft liegt: „Ich musste lernen, mich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen und mit kleinen Fortschritten zufrieden zu sein“, sagt Siegemund, „und das soll auch so bleiben.“