Behindert der Föderalismus die Terrorbekämpfung? Clemens Binninger, Vorsitzender des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, sagt Ja. In der Landesregierung Baden-Württemberg sieht man das anders.

Stuttgart - Als Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) jüngst seine Novelle des Landespolizeigesetzes in den Landtag einbrachte, rühmte er sein Werk als modellhaft für die ganze Republik. Daran ist wahr, dass Bund und Länder ein gemeinsames Musterpolizeigesetz erarbeiten wollen.

 

Dieses Bemühen wiederum ist Ausdruck einer gewissen Verlegenheit, in welche die Sicherheitsbehörden durch den Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im vergangenen Dezember gestürzt wurden. Damals tötete der Tunesier Anis Amri zwölf Menschen, fast hundert wurden verletzt. Der vom Berliner Senat eingesetzte Sonderbeauftragte Bruno Jost kritisiert in seinem Abschlussbericht die Sicherheitsbehörden: Fehler seien von den Ländern gemacht worden, allerdings auch vom Bund. Er regte für den Umgang mit islamistischen Gefährdern „länderübergreifend einheitliche Qualitätsstandards“ an. Insbesondere für die Gruppe islamistischer Gefährder, die wie Amri jung, männlich, im Bundesgebiet hoch mobil und ohne feste soziale Bindungen seien, „könnte eine bundesweit zentrale Zuständigkeit und Betreuung sinnvoll sein“.

Die Frage lautet also, ob die föderale Sicherheitsarchitektur noch tragfähig ist für die Terrorismusbekämpfung. Clemens Binninger, von Beruf Polizist und im Bundestag ein ausgewiesener Sicherheitsexperte – er trat zur Wahl 2017 nicht mehr an, ist aber noch Vorsitzender des Geheimdienst-Kontrollausschusses –, nennt die Abwehr des internationalen Terrorismus eine Bundesaufgabe. Er hält es für sinnvoll, die Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter (LKA) in das Bundeskriminalamt (BKA) einzugliedern, ebenso die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) in das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Das bedeute ja nicht, die regionalen Standorte aufzugeben, sagt er. Aber die Verantwortlichkeit wäre klar. Für politisch durchsetzbar hält er dies aber nicht – wegen der Länder, die sich quer stellen, obwohl mancherorts die Verfassungsschutzämter so klein sind, dass sie in der Hauptsache damit beschäftigt sind, sich selbst zu verwalten.

Festnahme nach dem „Al-Capone-Prinzip“

Mit seinem CDU-Kollegen Armin Schuster legte Binninger nach dem Berliner Attentat Vorschläge vor, die sich auch beim Amri-Sonderermittler Jost finden. Jost schreibt, da es sich schwierig gestalte, Anschlagsvorhaben frühzeitig zu erkennen, sei es wichtig, Gefährder wie Amri wegen anderer Straftaten zu verfolgen „und sie durch Inhaftierung zumindest zeitweise an der Umsetzung von Attentatsplänen zu hindern“. Binninger spricht vom „Al-Capone-Prinzip“: der US-Gangster der Prohibitionszeit wanderte nicht wegen Organisierter Kriminalität, sondern wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter.

Binninger schlägt deshalb vor, dem Generalbundesanwalt die Möglichkeit zu geben, allgemeinstrafrechtliche Ermittlungen gegen Gefährder, die von diversen Staatsanwaltschaften in unterschiedlichen Bundesländern geführt werden, bei einer Staatsanwaltschaft zu bündeln. So könne am ehesten ein Haftgrund gefunden werden. Außerdem sieht Binningers Konzept vor: Das Bundeskriminalamt soll die Verantwortung bei der Gefährderbewertung erhalten und nach diesen Leuten fahnden, wenn sie untertauchen. Der Bundespolizei will er zentral die Aufgabe übertragen, ausreisepflichtige Gefährder außer Landes zu bringen. Und das Bundesamt für Verfassungsschutz soll die Federführung für das Zusammenführen aller Erkenntnisse aus dem Bereich der Inlandsgeheimdienste bekommen. Die Idee eines Musterpolizeigesetzes hält er für reizend, aber nicht durchschlagend: „Der Fall Amri ist sicher nicht daran gescheitert, dass wir bisher kein einheitliches Polizeigesetz haben.“

Polizei in Baden-Württemberg: Nivellierung nach unten

Martin Jäger, Staatssekretär im Stuttgarter Innenministerium, erhofft sich hingegen einiges von einem Musterpolizeigesetz. „Der Fall Amri hat gezeigt, dass wir ein Schnittstellenproblem haben“, sagt er. Dies könne gelöst werden, indem die Polizei in den Ländern deckungsgleiche rechtliche Möglichkeiten erhielte – etwa bei der Gefährderüberwachung. Jäger beurteilt die Arbeit des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) von Bund und Ländern in Berlin positiv. „Solche Formen verdichteter Zusammenarbeit helfen weiter.“ Ohnehin hält er es für falsch, „eine Generaldebatte über Föderalismus“ zu führen. „Es geht immer um ganz konkrete Besserungsmöglichkeiten.“ In Sachen Technik und Ausstattung laufe die Polizei in Baden-Württemberg bei einer bundesweiten Angleichung eher Gefahr, eine Nivellierung nach unten zu erleiden.

Sympathie findet sich in den Bundesländern hingegen für den Vorschlag des Bundes, die Abschiebungen zu übernehmen, nicht nur der Gefährder, sondern aller Ausreisepflichtigen. Allerdings gibt es massive Zweifel, ob die Bundespolizei dafür die Kapazitäten aufbringen kann. Am Ende, so ein Polizeiexperte im Land, laufe es darauf hinaus, dass die Landespolizei die Ausreisepflichtigen zunächst mühsam einsammle, um sie dann bei der Bundespolizei abzugeben. „Dann können wir sie auch gleich zum Flughafen fahren.“