Reportage: Robin Szuttor (szu)
Wurden auch von Medien Grenzen verletzt?
Die Grenzen überschritten hat meiner Meinung nach die „Bild-Zeitung“, die mit ihrem militanten Ton dazu beitrug, dass die Atmosphäre in Berlin so aufgeheizt war. Berlin galt als Freiheitsinsel, die sich gegen die Einnahmeversuche des Ostens behauptet hatte. Nun glaubte man, die Stadt mit Zähnen und Klauen verteidigen zu müssen gegen eine Bewegung, die sich auch links nannte. Der Irrtum war: die linke westdeutsche Jugend hatte keine Sympathien mit dem Kommunismus östlicher Prägung, es war eine andere Spielart. „Bild“ hat da wirklich eine etwas verhängnisvolle Rolle gespielt – während das Gros der Zeitungen abwägend liberal geschrieben hat.
Teilten die Leser Ihre Meinung?
Die Leserbriefschreiber waren überwiegend nicht einverstanden mit meiner Einstellung. Einer meinte sogar, man sollte mich samt meiner Familie in den Tagblattturm sperren und dann das Ganze anzünden. Es gab auch Ärger von der politischen Seite. Ich habe Anfang der siebziger Jahre einen Artikel über Gudrun Ensslin geschrieben. Titel: „Ausbruch aus der schwäbischen Innerlichkeit“. Das hat mir einen bösen Brief von Bundesjustizminister Ewald Bucher eingetragen. Auch, weil ich von der Baader-Meinhof-Gruppe geschrieben hatte – für ihn war es eine Mörderbande. Die CDU setzte mich zu dieser Zeit auf ihre Liste der RAF-Sympathisanten gleich hinter Heinrich Böll, die Umgebung war also nicht unbedingt ehrenrührig. Ich erinnere mich auch, dass Carl-Dieter Spranger von der CSU in einem Brief an den Verleger Josef Eberle meine Entlassung forderte.
Wie ging’s aus?
Professor Eberle hat mich in sein Büro kommen lassen, mir den Brief vorgetragen und ihn dann im Papierkorb versenkt.
Sie hatten immer Rückendeckung?
Immer. Natürlich stritt man sich intern und fragte sich: Was wollen die? Worauf wollen die hinaus? Das beschäftigte auch Wohlmeinende. Als Jean-Paul Sartre nach Stammheim kam und sich für die Terroristen einsetzte, schrieb ich, ein Literat von Weltruf könne es sich nicht leisten, so einen Humbug zu erzählen. Tags darauf standen zwei unserer Lokalredakteure vor meinem Schreibtisch und warfen mir vor, die Stuttgarter Zeitung nach rechts zu lenken. Mit der Zeit wuchs der Druck von vielen Seiten.

Der Stuttgarter Anwalt Klaus Croissant, der zuvor überwiegend Scheidungsfälle bearbeitet hatte, wurde 1975 Wahlverteidiger von Andreas Baader in Stammheim. Das Gericht schloss ihn im Vorfeld der Verhandlung aus. Seine Kanzlei entwickelte sich zur Schaltzentrale zwischen den Gefangenen und der RAF draußen. Später wurde er wegen Mitwirkung am Aufbau und Betrieb des sogenannten RAF-Informationssystems verurteilt – wie auch der heutige Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.

 
Wuchs mit dem Druck auch die Gefahr, sich vereinnahmen zu lassen?
Durchaus. Eines Tages erschien Klaus Croissant in meinem Büro im Tagblattturm und wollte mich mehr oder weniger verhüllt für die Rote-Armee-Fraktion anwerben. Das habe ich natürlich brüsk abgelehnt. Ich weiß noch, dass ich sagte: „Herr Croissant, Sie sind der Goebbels der RAF.“ Das hat er eigentlich als Lob akzeptiert.
Welche Informanten hatten Sie?
Ich kannte etliche Leute aus der Szene, die nicht straffällig geworden waren, aber doch sehr mit der Sache sympathisierten. Ich habe auch weiterhin mit Croissant telefoniert – wahrscheinlich hörte der Verfassungsschutz immer mit. Mit Otto Schily war ich auch eng vertraut. Ich kannte ihn vom Berliner Prozess um die Anti-Springer-Aktionen. Schily hatte uns junge Journalisten sofort beeindruckt, er konnte glänzend auftreten, kannte die Strafprozessordnung aus dem Effeff. Und er hielt immer Distanz zur Sache. Ich würde sagen: Schily war immer im Lager der Liberalen. Er hatte zwar Sympathien für das, was da links passierte, aber er hat sich nie eingemischt – im Gegensatz zu anderen Anwälten später in Stammheim.
Hatten Sie damals die Möglichkeit, als Journalist bis zum Kern der RAF vorzudringen?
Vielleicht ja. Aber das hätte gegen ein Prinzip verstoßen, das ich mir als Gerichtsreporter auferlegt hatte: nicht mit den Tätern zu sprechen. Diese Linie habe ich niemals überschritten. Das praktizierte im Übrigen auch Gerhard Mauz vom „Spiegel“ so.
Wer die Terroristen von damals verstehen will, muss ihren maßlosen Hass auf die Bürgerlichkeit ergründen. Einverstanden?
Ja, gerade weil die Leute aus einer bürgerlichen Szenerie kamen, hatte man ja anfangs gewisses Verständnis und sagte: Die haben sich verirrt. Meines Erachtens war der RAF-Terror auch eine Politisierung privater Konflikte und psychoanalytisch gesehen eine Regression. Hinzu kam die verlockende Ideologie einer Weltbefreiung. Die wollte man nicht mit Geduld und im demokratischen Sinne erkämpfen, alles musste hier und jetzt passieren. Das Nächstliegende war da die Gewalt, die ja eine Art von Abenteuer in sich trägt. Im Grunde ging es nicht um Politik, sondern um eine Heilserwartung. Ich vermeide ja immer das Wort Romantik bei dem Thema, aber man muss es doch gebrauchen: Es war Politromantik – übrigens eine sehr deutsche Sache.

Auch Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, den führenden Köpfen der zweiten RAF-Generation, wurde im Stammheimer Mehrzweckgebäude der Prozess gemacht. Die viele Monate dauernde Verhandlung fand kaum mehr Interesse in der Öffentlichkeit, es gab keine fanatischen Anhänger der Terroristen. Ein wichtiges Kapitel der bundesdeutschen Geschichte wurde 1985 in einem fast leeren Saal routinemäßig abgewickelt.

Der Staatssekretär Ulrich Klug sagte 1972 nach einem Gespräch mit Gudrun Ensslin in der Haftanstalt Essen: „Frau Ensslin und ich leben in verschiedenen Planetensystemen.“
Das trifft es. Später hat ja auch der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer Ensslin und Meinhof in ihren Stammheimer Zellen besucht. Er wollte mit ihnen reden und sie verstehen. Aber Ensslin sagte ihm bald, er sei ein Scheißliberaler und solle aufhören, sie zu besuchen. Gollwitzer gab auf mit den Worten: „Es hat keinen Wert, sie sind verloren.“ Die RAF war am Ende eine Gruppe, die nur noch mit sich selbst beschäftigt war.
Hat die Terror-Ära letztlich die Liberalisierung der Gesellschaft beschleunigt?
Diese Entwicklung ist kein Verdienst der RAF, sie wäre von allein gekommen. Unser Grundgesetz ist das liberalste, das ich kenne. Und das Verfassungsgericht traf früh wegweisende Entscheidungen, die dafür sorgten, dass die Freiheitsvorstellung nicht nur eine juristische Norm bleibt, sondern in die Gesellschaft hinein wirkt.
Würden Sie aus heutiger Sicht andere Artikel schreiben?
Ja. Ich würde früher deutlicher werden. Ich muss Ewald Bucher recht geben: Ich erkannte zu spät, wie gefährlich die Bewegung geworden war. Ich habe sie zu lange mit bürgerlichen Hoffnungen angesehen.