Von Bad Vilbel aus verfolgen Beamte die derzeit 88 Träger der Geräte. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, könnten bald islamistiche Gefährder hinzu kommen. Das Gerät könnte wohl bestimmte Anschläge verhindern – ein Allheilmittel ist es nicht.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Bad Vilbel - Es scheint, als schließe sich ein Kreis. Als das neue Gebäude des Amtsgerichts in Bad Vilbel 1989 eingeweiht wurde, gab es in dem wenig schmucken Funktionsbau einen speziell gesicherten Saal. In dem sollten Terrorprozesse geführt werden, für die das nahe gelegene Oberlandesgericht in Frankfurt nicht ausgerüstet war. Gerade einmal 15 Jahre später wurde das Amtsgericht aufgelöst, ein Terrorprozess fand hier nie statt. Nun könnte der Terror doch noch in der hessischen Gemeinde Einzug halten.

 

Im fernen Berlin haben sich die Koalitionspartner in dieser Woche darauf geeinigt, dass künftig auch islamistische Gefährder oder bereits straffällig gewordene Islamisten mit einer elektronischen Fußfessel ausgestattet werden sollen. Das hat direkte Auswirkungen auf die Arbeit in Bad Vilbel. Dort befindet sich die Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder. Das bedeutet: Jeder, der in Deutschland eine Fußfessel trägt, wird von dort aus beobachtet. Wenn auch nicht aus dem speziell konstruierten Verhandlungssaal heraus, sondern aus der ehemaligen Hausmeisterwohnung.

Das Büro der Krankenkasse ist spektakulärer

Linoleumboden, Neonröhren, zwei Schreibtische, die sich gegenüberstehen, jeweils mit zwei Monitoren bestückt – so sieht es aus, das Herzstück der Fußfesselüberwachung, für die einen der Beginn einer Big-Brother-Horrorvision, für die anderen ein Stück gelebte Sicherheit. Ein Sozialarbeiter sitzt auf der einen Seite des Tisches, ein Beamter des mittleren Dienstes auf der anderen. Das Büro der örtlichen Krankenkasse ist wahrscheinlich spektakulärer. Es gibt noch einen Monitor an der Wand, doch auf dem tut sich wenig. Keine Deutschlandkarte mit blinkenden Punkten, keine flackernden Lämpchen, keine Warntöne. Meistens nicht. Als er dann kommt, der Alarm, erinnert die Sechstonfolge eher an eine moderne Klingeltonmelodie auf dem Handy. Die Aufregung der Mitarbeiter hält sich jedoch in Grenzen. HE 10 hat keinen GPS-Empfang mehr, wird aber Sekunden danach über die Sendemasten der Mobilfunkanbieter da geortet, wo er sein soll: in Nordhessen.

„Kein Problem“, sagt Hans-Dieter Amthor. „Mister Fußfessel“ nennen manche den Leiter der Einheit. Als Hessen vor mehr als 20 Jahren seine ersten Versuche mit diesem technischen Hilfsmittel unternahm, war Amthor schon dabei. 20 Meldungen gebe es derzeit im Schnitt pro Tag, sagt er. In 80 Prozent der Fälle sei es eine Warnung, weil die Batterie geladen werden müsse. Alle 24 Stunden ist das der Fall. Am 1. Januar feierte die Überwachungsstelle ihr fünfjähriges Bestehen. 15 032 Meldungen hat es in der Zeit gegeben, bei 739 gab es einen nachfolgenden Polizeieinsatz.

Der Anschlag von Berlin hätte vermieden werden können

In Deutschland stellen sich gerade viele die Frage, ob der Anschlag von Berlin hätte vermieden werden können, wenn der Attentäter Anis Amri solch eine Fußfessel getragen hätte. „Ja“, sagt Hans-Dieter Amthor – es ist ein „Ja“ mit Einschränkung. Amri ist durch Deutschland gereist. „Wäre sein Aufenthaltsrecht beschränkt gewesen, dann hätten wir das mitbekommen, dann hätten wir ihn mithilfe der Polizei zurückgepfiffen“, sagt Amthor. Hätte der Tunesier allerdings in dem ihm zugewiesenen Aufenthaltsgebiet das Gleiche getan wie in Berlin, „dann hätten wir das mit der Fußfessel auch nicht verhindern können“, sagt der Überwachungsstellenleiter. Von der Sinnhaftigkeit der elektronischen Fußfessel ist Amthor überzeugt – aber auch davon, dass sie weder Allheil- noch Wundermittel ist.

88 Menschen in Deutschland tragen aktuell das 180 Gramm schwere und 15 Zentimeter lange Gerät. Beim Sport, beim Duschen, in jeder Lebenslage. In Baden-Württemberg ist es fünf Männern unmittelbar über dem Knöchel ans Bein geschnallt. Winterstiefel sind da ein Problem, aber kein Grund, das Plastikband zu durchtrennen. Das darf nur bei einem medizinischen Notfall durchschnitten werden, der Alarm wird dann sofort ausgelöst. Ein kleiner Teil der Träger darf bestimmte Gebiete nicht verlassen, der Großteil darf bestimmte Gegenden nicht betreten. Das kann ein ganzes Bundesland sein oder ein bestimmtes Haus mit einem Radius von zwei Kilometern drum herum. Hans-Dieter Amthor hat die Fußfessel bei sich selbst ausprobiert, sechs Wochen lang. „So etwas täglich zu tragen ist schon eine Zumutung“, sagt er – aber die richterliche Anordnung ergehe schließlich nicht ohne Grund.

Die meisten Träger haben Sexualverbrechen begangen

Das Strafgesetzbuch erlaubt die elektronische Fußfessel seit 2011. Wer sie trägt, hat seine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bis zum letzten Tag verbüßt, wird aber weiter als gefährlich angesehen. Ein Träger hat Staatsanwalt und Gefängnisdirektor mehrfach und nachhaltig mit dem Tode bedroht, andere drohen Familienangehörigen, Zeugen oder Ermittlern. 63 der Fußfesselträger waren wegen Sexualdelikten im Gefängnis, gelten aber weiterhin als so gefährlich, dass auch die Freiheit überwacht werden soll.

In der ehemaligen Hausmeisterwohnung des Amtsgerichts Bad Vilbel ertönt erneut die Sechstonmelodie. NW 11 hat eine schwache Batterie. Der Sozialarbeiter hinter dem Monitor greift zum Telefon und wählt eine Handynummer. So ist das Standardvorgehen. Der Träger der Fußfessel wird angerufen; meldet er sich nicht, folgt der Anruf bei der Polizei. Erst im Alarmfall dürfen die Mitarbeiter in Bad Vilbel den Computer so einstellen, dass sie den exakten Aufenthaltsort des Fesselträgers erkennen. Andernfalls ist der Blick auf die Landkarte streng verboten. Sechzehn Datenschutzbeauftragte der Länder passen auf, dass alles seinen rechten Gang geht.

Technisch könnte das System 500 weitere Menschen überwachen

Eine Katze aus der Nachbarschaft schleicht durch die offene Terrassentür in den Überwachungsraum. Sie macht das öfter, ein gefüllter Fressnapf wartet auf sie. Der große Innenhof gibt dem Überwachungspersonal die Möglichkeit während der 12-Stunden-Schichten einmal die Beine zu vertreten oder eine Zigarette zu rauchen. Vielleicht, sinniert Hans-Dieter Amthor, ist diese großzügige Offenheit schon bald in Gefahr. Natürlich diskutieren sie in der Überwachungszentrale, ob sie nicht selbst Ziel eines Anschlags werden könnten, wenn künftig die Sympathisanten des Islamischen Staats zur Überwachungsklientel gehören. Angst? Angst habe er keine, sagt Amthor, aber eine Verantwortung gegenüber den 16 Mitarbeitern.

Technisch ist die Zentrale auf die neue Kundschaft vorbereitet. „Wir sind allerbestens hochgerüstet worden“, sagt Amthor. Bis zu 500 Menschen könne das System überwachen, neue Fesseln, die für fünf Euro pro Tag aus Israel geleast werden, können in zwei Monaten vor Ort sein. Ob das Personal dann reicht, müsse man sehen. „Es gibt keine Erfahrungen, wie sich diese Menschen verhalten, ob sie viel oder wenig Arbeit machen“, sagt Amthor.

Schlechte Erfahrungen gibt es auch

Rafik Y. gehört zu den wenigen Extremisten, die schon mit der Fußfessel ausgestattet waren. Er ist kein positives Beispiel. Im September 2014 durchschnitt er das Plastikband. Die Überwacher in Hessen telefonierten sofort, die Polizei in Berlin brauchte zu lange. Der Mann, der wegen eines versuchten Anschlags auf den irakischen Ministerpräsidenten inhaftiert war, bedrohte auf der Straße Passanten mit einem Messer. Auf die herbeigeeilte Streife stoch er ein – und wurde erschossen. Der Fall zeigt die Grenzen der Fußfessel. Er ist nicht der einzige. Unter den fast 130 Fußfesselträgern der vergangenen fünf Jahre war nur eine einzige Frau. Sie hatte ihre Haftstrafe wegen 33-facher Brandstiftung verbüßt. „Es war fast klar, dass Nummer 34 folgen wird“, sagt Amthor. Das war dann in Ravensburg der Fall, die Frau musste zurück ins Gefängnis.

Der Schutz vor Gefährdern ist auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Etwa 30 Beamte pro Person sind nötig, um eine persönliche, lückenlose Überwachung zu gewährleisten. Da kommt was zusammen. Die Fußfesselüberwachung kostet derzeit insgesamt rund 1,2 Millionen Euro pro Jahr. Leasinggebühren schon inklusive.