Sie sind jung. Sie sind wild. Sie sind verdammt gut. Die Bands The Linda Lindas aus Los Angeles und Horsegirl aus Chicago plündern die Plattensammlung ihrer Elter und toben sich zwischen Punk und Noiserock aus.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Die Riot-Grrrls sind zurück! Zwei US-Bands, die zeitgleich ihre Debütalben veröffentlicht haben, treten stilsicher die Nachfolge von Bikini Kill, Sleater-Kinney oder Babes in Toyland an – all jener Frauenbands aus den 1990ern also, die für eine feministische Subkultur standen und sich selbstbewusst-trotzig dagegen wehrten, den sich stets in Überzahl befindenden Männern die Deutungshoheit über das zu überlassen, was Rock ’n’ Roll eigentlich ist. The Linda Lindas aus Los Angeles und Horsegirl aus Chicago stehen für eine junge neue Generation von Musikerinnen, die Frauenrollen ganz selbstverständlich infrage stellen.

 

Erwachsenwerden zu Punkrock-Riffs

„Racist, Sexist Boy“ heißt der Song, der The Linda Lindas schon vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Growing up“ (Epitaph/Indigo) berühmt gemacht hat. Ein zorniges Stück, mit dem sie bei „Jimmy Kimmel Live“ und in dem Film „Moxie“ Auftritte hatten und das sie auch am Pfingstwochenende bei „Rock am Ring“gespielt und so auf der Bühne ein kleines bisschen den Frauenanteil des von Männern dominierten Festivals erhöht haben. „Racist, Sexist Boy“ ist ein sperriger Punkrocksong, in dem sich die Band über einen Mitschüler auskotzt, der alles ablehnt, was nicht in sein reaktionäres Weltbild passt, und alles hasst, was er nicht kennt – zum Beispiel Mädchen, die eine andere Hautfarbe haben als er.

Punk, Glamrock, Grunge

Die Linda Lindas haben asiatische und lateinamerikanische Wurzeln und gehen noch auf die Highschool. Mila de la Garza, die als Schlagzeugerin dem Song den kurrigen Beat vorgibt, ist elf Jahre alt. Milas große Schwester Lucia, die Gitarre spielt, ist 15. Bassistin Eloise Wong ist 14. Bela Salazar (ebenfalls Gitarre) ist mit 17 Jahren die Älteste der Linda Lindas. Nach der Sorte Tweenpop, zu dem Teenager auf Tiktok ihre neuesten Dancemovies vorführen, klingt die Musik des Quartetts trotzdem nicht. Während sich „Fine“ oder „Why“ wie Punkrockklassiker aus den 1970ern anhören, verwandeln sich The Linda Lindas auf „Growing up“ auch mal in die Runaways („Oh!“), die Go-Gos („Growing up“) oder die Buzzcocks („Remember“), mal flirten sie mit Glamrock, mal mit Grunge.

Papa ist Produzent

Ganz allein sind die vier Mädchen jedoch nicht darauf gekommen, sich als wild-bunte Punkrockerinnen zu verdingen. Carlos de la Garza, der Vater von Mila und Lucia, war als Mixer, Techniker oder Produzent schon bei Platten von Best Coast, Wolf Alice oder Bad Religion beteiligt und hat ein paar Grammys zu Hause stehen. Er hat sich auch den Namen The Linda Lindas ausgedacht, den er sich aus Nobuhiro Yamashitas Film „Linda Linda Linda“ (2005) geborgt hat, der von vier Mädchen erzählt, die sich zusammentun, um Songs der japanischen Punkrockcombo The Blue Hearts nachzuspielen, dessen größter Hit „Linda Linda“ hieß.

Highschool-Version von Sonic Youth

Nur wenige Jahre älter als The Linda Lindas sind die Mitglieder von Horsegirl aus Chicago, die gerade beim Maifeld Derby aufgetreten sind. In ihrer Musik poltert, brummt und pfeift es. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, Sonic Youth sind zurück. Penelope Lowenstein, Nora Cheng und Gigi Reece füllen ihr Debüt „Versions of modern Performance“ (Matador/Beggars) so cool mit Feedbackgitarren und störrischen Song-Ungetümen, mit No Wave, Post-Punk und Noiserock, als würden sie das schon seit Ewigkeiten machen, obwohl sie frisch von der Highschool kommen. Zwar ist es dem guten Musikgeschmack von Lowensteins Vater zu verdanken, dass Horsegirl Sonic Youth entdeckt haben, doch bei Songs wie „Anti-glory“, „Live And Ski“ oder „Billy“ eignet sich das Trio diese Musik so lässig und souverän an, als ob sie das alles selbst erfunden hätten.