„The Outer Worlds“, das neue Rollenspiel von Obsidian Entertainment, raubt dem Spieler optisch nicht den Atem, überzeugt aber mit inneren Qualitäten. Warum, erklären wir im Test.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Stuttgart - Vor Jahrzehnten ist das Kolonistenraumschiff Hope in den Weiten des Weltalls verschollen, an Bord eine Schar Siedler, die in eisigen Tiefschlaf versetzt die Distanz zum anderen Ende des Universums überbrücken und auf fernen Planeten der Halcyon-Kolonie siedeln sollten. Seither geistert der Mythos des Raumschiffs Hope durch die die Welt von Halcyon. Wenige glauben, dass das Schiff jemals existierte, und diejenigen, die es besser wissen, schweigen. Denn der Traum von der friedlichen Eroberung des Weltraums ist längst zum Albtraum geworden: Gierige Megakonzerne pressen die Siedler aus, Dissidenten werden verfolgt.

 

Der Spieler beginnt in „The Outer Worlds“ als einer der verschollenen Kolonisten, der vom halbwegs durchgedrehten Wissenschaftler Phineas Welles (eine Art Emmett „Doc“ Brown im Weltall) erst aufgetaut und dann auf eine heikle Mission entsandt wird: Er soll gemeinsam mit ihm die restlichen Kapseln mit den Kolonisten auftauen und gondelt dazu auf eine regelrechte Schnitzeljagd quer durchs Sonnensystem.

Sehen Sie hier den Trailer zu „The Outer Worlds“:

Das ist in groben Zügen die Handlung von „The Outer Worlds“, dem neuen Rollenspiel aus dem Hause Obsidian Entertainment, das erklärtermaßen angelehnt ist an das buntchaotische Endzeit-Rollenspiel „Fallout Vegas“ aus dem Jahr 2010. Weil das Budget für die Produktion begrenzt gewesen ist, hat Obsidian Entertainment von Anfang damit kokettiert, mit „The Outer Worlds“ Rollenspieler erreichen zu wollen, die auf Retro-Charme stehen und denen liebevoll inszenierte Missionen wichtiger sind als modernste Grafikeffekte.

Funktioniert das, oder ist es doch nur eine Ausrede für günstig auf den Markt geworfene Weltraumpixel? Wir haben „The Outer Worlds“ getestet.

Stärken

Um es vorweg zu nehmen: Obsidian Entertainment löst sein Versprechen vollständig ein. „The Outer Worlds“ liefert traditionellen Rollenspielstoff, der aber mit viel Liebe zum Detail verpackt ist. Das beginnt mit der Charaktergestaltung, die Zugriff bis auf die Augenbrauen gibt, geht weiter mit den üblichen Eigenschaften wie Waffen, Schleichen, Hacken, Charisma und so fort, die allmählich hoch gelevelt werden, und reicht bis hin zu den Begleitern des Spielers, die allesamt mit einer eigenen Geschichte und Missionen ausgestattet sind.

Vor allem letztere sind umfangreich, originell und zum Teil zum Teil regelrecht komisch, wenn der Spieler etwa der Begleiterin Parvati bei ihren Liebeshändeln beistehen muss. Andere Missionen wirken sich genretypisch auf das Ansehen bei einer der verschiedenen Fraktionen aus, die in Halcyon ihr Unwesen treiben. Fast alle Missionen bieten unterschiedliche Optionen an, sie abzuschließen, was den Wiederspielwert erhöht. So kann sich der Spieler zum Beispiel entscheiden, ob er wichtige Forschungsunterlagen einem Wissenschaftler zurückgibt oder lieber auf dem Schwarzmarkt verhökert – mit Folgen für den Spielverlauf. Er kann in langwierigen Gesprächen die verschiedenen Fraktionen gegeneinander ausspielen oder rambomäßig alles niedermähen, was sich ihm in den Weg stellt.

Die Grafik sieht sehr hübsch und atmosphärisch aus. Es geht bunt und trashig zu, der Spieler hat Lust, die diversen Areale zu erkunden. Überzeugend ist auch die Vertonung: Alle Protagonisten und Missionsgeber sind komplett auf Englisch vertont und auf Deutsch untertitelt.

Schwächen

„The Outer Worlds“ überzeugt grafisch, allerdings ohne Maßstäbe zu setzen. Im Detail offenbaren sich eher niedrig aufgelöste Texturen und sich wiederholende Grafikelemente. Handlungen des Spielers sind oft nicht durchgängig animiert, und bei Dialogen öffnen sich genretypisch Fenster mit den Gesichtern der Gesprächspartner, die zwar eine Weile lang hübsch animiert wirken, früher oder später dann aber doch eine eher sparsame Mimik haben. Verzichten muss der Spieler auch auf verschiedene Perspektiven: Es gibt nur die Ego-Sicht.

So originell die einzelnen Missionen von ihrer jeweiligen Geschichte her unterfüttert sind, offenbaren sie sich im Spielfluss häufig als Sammle-diesen-Gegenstand-ein- oder Drücke-diese-drei-Knöpfe-Aufträge. Nach ein paar Stunden stellt sich beim Spieler eine gewisse Routine ein, er ertappt sich dabei, wie er die einzelnen Stationen einer Mission abklappert.

Außerdem hat „The Outer Worlds“ eine ausgeprägte Loot-Komponente. Jede Location ist vollgestopft mit Regalen, Mülleimern und Tresoren, in denen Booster, Waffen und Munition zu finden sind. Kann man mögen, muss man aber nicht. Immerhin reißen dann doch immer wieder unterhaltsame Wendungen in den Missionen den Spieler aus dem Sammeltrott.

Insgesamt braucht er allerdings die Geduld eines überzeugten Rollenspielers. „The Outer Worlds“ ist sehr textlastig, es gibt viel zu hören und noch mehr zu lesen. Unangenehm fallen dabei zwangsläufig die kleinen Schriften auf, die das Lesen mühselig machen. Das setzt sich in den Menüs fort, etwa bei den nur mäßig individuell dargestellten Waffen. Wer nicht aufpasst, verscherbelt aus Versehen eine mit Modifikationen hochgerüstete Knarre an einen windigen Händler auf Terra 2.

Fazit

Nur eine Handvoll unterschiedlicher Gegner, gegen die wir kämpfen, eine atmosphärische, aber auf den zweiten Blick oft detailarme und unzeitgemäße Grafik, ermüdende Botengänge-Missionen, fehlende Animationen, leere Landschaften mit sich wiederholender Botanik, eine rudimentäre Darstellung von Waffen, Gegenständen und Fertigkeiten in den Menüs: Dass Obsidian für „The Outer Worlds“ nicht das Budget für einen Premiumtitel zur Verfügung hatte, ist unübersehbar.

Das macht das Team allerdings wett mit einer liebe- und humorvoll erzählten Geschichte und überzeugenden Charakteren, was vor allem für die Begleiter zählt. Immer wieder stolpert der Spieler in einer Spielwelt aus einem Guss über witzige und ironische Anspielungen. Zu keinem Zeitpunkt nimmt sich „The Outer Worlds“ ernst, sondern verbreitet eher einen fröhlichen Anarchismus wie in „Per Anhalter durch die Galaxis“. Die vielen verschiedenen Wege, die Missionen zu lösen und dabei die Fraktionen gegeneinander auszuspielen, erhöhen den Wiederspielwert. Freunde traditioneller Rollenspielkost machen mit „The Outer Worlds“ auf keinen Fall einen Fehler.

„The Outer Worlds“ ist erschienen für PC, Playstation 4 und Xbox One und kostet zwischen 40 und 60 Euro.

Grafik 2,5 von 5

Spielspaß 4 von 5

Atmosphäre 3,5 von 5