Der Weinberg als Schaubühne: Das „Volles-Rohr-Theater“ hat im Freien Albert Camus’ Stück über den römischen Kaiser Caligula aufgeführt.

S-West - In der Luft der Geruch von Barbecue, der Himmel getupft mit Wolken. Von den kleinen begrünten Terrassenstufen, ähnlich einem Theatron in der Antike, blickt man auf den Weinberg und in den Stuttgarter Kessel, auf den die Sonne rotgolden scheint. Davor die kleine Bühne der Theatergruppe Volles Rohr, liebevoll mit einfachen Mitteln in Szene gesetzt: Bettlaken, Holzstangen, eine Bank, Stühle, Spiegel und der vatikanische Obelisk. Hier spielt die Gruppe junger Studenten Albert Camus’ Caligula – die Geschichte über eben jenen verrückte Kaiser, der den vatikanischen Obelisken vor 2000 Jahren nach Rom verschiffte. Seit Mitte Januar haben sie an dem Stück gearbeitet und geprobt, erzählt Janina Moschner. Sie studiert Kunsttherapie in Nürtingen und ist die Regisseurin des Stücks. „Caligula hat einen sehr feinen Humor, aber auch einen spannenden Hintergrund“, begründet Moschner ihre Entscheidung für Camus’ Drama, das die Geschichte des römischen Kaisers zum Thema hat, der durch seine eigenen Ideale dem Wahnsinn verfällt und mit sich sein Reich ins Chaos stürzt.

 

Bühne über Stuttgart

Der Weinberg ist eine einmalige Kulisse. „Es fehlt an kleinen Bühnen in Stuttgart“, sagt Moschner. Deshalb begann sie vor zwei bis drei Jahren gemeinsam mit ihrem Freund Felix Baumann diese besondere „Bühne über Stuttgart“, wie die Gruppe sie selbst nennt, aufzubauen. Der Weinberg gehört den Eltern von Baumann und scheint wie gemacht für ein Stück wie Caligula. Und dann spielen sie: Lukas Müller gibt einen ganz herrlich wechselhaften Caligula, bei dem niemand sicher sein kann, welcher Gefühlsregung, welcher Neigung er als nächstes nachgibt und den alle fürchten. Mal romantisch verklärt, mal verzweifelt, mal rachsüchtig und rasend – Müller greift sich Camus’ Worte, hat sie ganz verinnerlicht und zu den seinen gemacht.

„Frei ist man nur auf Kosten der anderen. Das ist absurd, aber normal“, sagt Müller als Caligula und schafft dabei den schmalen Grad zwischen Witz und Raserei. Er glänzt mit komödiantischem Talent, vor allem im Duett mit Alexander Denzel, der wunderbar verdattert und neckisch den Oberhofmeister Patricius gibt. Auch Stefanie Bissinger als Caesonia zuzusehen, macht Freude. Jeden Satz Caligulas quittiert sie mit ihren Blicken, hier kokett, dort überfordert, gar Angst erfüllt oder herrlich hysterisch. Die Zuschauer lachen, klatschen, sie sitzen auf Decken oder Stühlen, trinken Wein oder selbstgemachten Eistee – all das haben die Studenten zur Verfügung gestellt.

Erschreckende Parallelen

Die Wahl des Stückes ist unbestritten eine kluge, lassen sich doch erschreckende Parallelen zu heutigen Populisten erkennen. Möglicherweise hätte der Inszenierung Moschners hier und da ein Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Lage gut getan. „Wenn der Staatsschatz lebenswichtig ist, ist es das Leben nicht“, sagt Caligula. Ein Satz, der in Zeiten der Flüchtlingskrise, eines drohenden Brexit und der Finanzkrise trotz seiner Pfiffigkeit ob seiner Aktualität schmerzt.

Während all dem geht die Sonne über Stuttgart unter. Warmer Wind weht über den Berg, Kerzen werden angezündet, kalter Weißwein in die Gläser gefüllt und vom Nachbargarten wehen Stimmen einer Grillfeier herüber. Ein durch und durch atmosphärischer und unterhaltsamer Abend.